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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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den Tod gerissen, bevor sie ...», seine Augen wurden plötzlich leer, als hätte etwas Anderes in ihnen den Platz des Lebens übernommen. Die Muskeln verloren ihre Spannung, kamen zur Ruhe . Ein letzter Ton entwich seiner Kehle, den Liran wie einen Schrei vernahm. Es war sein Name.
    Der Stich war von solcher Härte, dass er zusammenzuckte und die Welt um ihn herum in Endlosigkeit tauchte. Aller Kontakt brach ab und hinterließ nur zornige Stille.
    Dann begann es zu regnen.
     
    Nilah hörte ihr Herz schlagen und doch schien es, als habe sie drei davon, so laut dröhnte es in ihrem Kopf. Was sie dann sah, sollte lange in ihrem Gedächtnis verharren, so unglaublich war es.
    Liran hockte da, die Tropfen prasselten auf die Erde. Der Krieger drückte sein Gesicht in das nasse Fell des toten Wolfs. Seine nackten Schultern zuckten – und erst da nahm Nilah wahr, dass etwas passierte.
    Das Fell des Wolfs veränderte seine Farbe. Aus den verschiedenen Grautönen wurde ein helles Blau, als hätte man Tinte mit Wasser vermischt. Und nicht nur das. Das Fell löste sich auf, Haare verbanden und verdichteten sich, so unglaublich es war – zu Tropfen. Sie fielen herab, aber berührten nicht den Boden, sondern schwebten einen kurzen Moment, um sich dann an Lirans Haut zu schmiegen. Wie Farbkleckse hingen sie dort, doch dann verschwanden sie. Und mit einem Mal wurde Nilah bewusst, was dort geschah.
    Es war, als ob man ein gemaltes Bild in den Regen hielt. Jeder Regentropfen schwemmte die Farbe heraus, ließ sie heller erscheinen und transportierte sie aus ihrem Rahmen, bis sie dahin gehen konnte, wohin sie gehörte.
    Dieses Wesen war kein Tier aus der anderen Welt, nein, es war ein Teil von Liran selbst gewesen. Der graue Wolf in seinen Armen zerlief in Myriaden von kleinen schimmernden blauen Tränen, die allesamt ihren Weg zu ihm zurück suchten und dort verschwanden. Als die letzten Fasern zerflossen waren, kniete Liran da, mit leeren Händen, als hätte man ihm etwas gestohlen. Seine geschlossenen Augen blickten hoch in den Himmel und plötzlich flossen die Tropfen daraus hervor. Hangelten sich an seinen Wimpern entlang und stiegen in die Höhe, als stehe die Schwerkraft Kopf. Wie ein ruhiger, gelassener Fluss flog alles davon, zerstreute sich wie Worte im Wind. Liran kniete auf dem Rasen. Der Regen prasselte auf seine nackten Schultern, die heftig zu zucken begannen, und ließ den Kopf müde hängen.
    Nilah weinte, weil sie noch nie etwas so Trauriges und gleichzeitig so Schönes gesehen hatte.
     
    Einst waren es karthagische Kriegsschiffe gewesen, Penteren. Hundert Ruder auf jeder Seite. Die Rammsporne ragten fünf Schritte weit ins Bugwasser, beschlagen mit Bronze und Eisen und so scharf wie eine Klinge.
    Sie hatten den Kanal überquert, waren in die Elbmündung geglitten wie ein Geist, hatten den Fluss lautlos und ohne dass jemand es bemerkt hatte, durchfahren. Waren himmelhohen Containerschiffen ausgewichen. Zwei Masten, an denen riesige Segel hingen, knatterten dabei ungehört im Wind. Während eines der Schiffe in der Mitte der Elbe zurückblieb, ruderte das andere weiter Richtung Hamburger Hafen. Man spielte keine Nationalhymne zur Begrüßung.
    Vorbei an hunderten von Häusern und Gärten, Straßen und Leben. Vorbei an den Hügeln von Blankenese, wo die Fenster der Villen schimmernde, eckige Augen in die Dunkelheit schickten. Einer seichten Schleife des Flusses folgend – mitten in das von tausenden Lampen erleuchtete Herz der Stadt.
    Die Landungsbrücken hell erleuchtet, voller Trubel und Stimmen. Die Kupferdächer stumme Beobachter. Das Schiff ruderte neben die altehrwürdige Rickmer Rickmers .
    «Riemen einholen!», klackerte die Kreatur, die vorn am Bug stand und die vielen Lichter nach möglichen Gefahren absuchte, die in jedem Hafen lauern konnten. Egal, welcher Hafen es war und wann er existierte. Die nassen Ruderblätter schwangen nach oben und hinterließen ein Trommelfeuer aus tropfendem Wasser auf den alten Planken. Lautlos glitt das Schiff an den Kai. Noch nie hatte ein solch seltsames Schiff dort angelegt. Mit einem dumpfen Knirschen setzte die Steuerbordwand an. Ein Schatten sprang federnd auf die Mole. Haken wurden eingeschlagen.
    Dann entstand Tumult, Knurren, schnappende Kiefer. Eine Kreatur ging über Bord. Ein grauer Schatten sprang über die Reling mitten zwischen die Menschen und verschwand.
    Die Kreatur am Bug blickte mit hasserfüllten Augen auf die schnatternden Leute und auf die Stadt. Dann

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