Die Bestimmung
Nili, sei sicher eines dieser Wächtermädchen. Sie solle sich darüber keine Sorgen machen und einfach dann schlafen, wenn ihr danach war. War es das? War sie etwas Besonderes? So wie Liran es gesagt hatte? Ein tiefer Spalt lief durch ihre Brust. Nein, ich will das nicht sein, sagte die eine Seite. Und ‚Ja‘, ich habe es schon immer gewusst, sagte die andere.
Abschied
Als sie aufwachte wusste Nilah nicht, wie lange sie geschlafen hatte. Beunruhigt hob sie den Kopf. Sie spürte, dass da etwas war und es fühlte sich sehr fremd an. Ihr Atem ging unmerklich schneller. So geräuschlos wie möglich schlug sie ihre Decke beiseite und setzte sich auf. Sie bemerkte, dass der Schatten, den Liran im Flur bildete, sich um keinen Zentimeter verschoben hatte. Das Haus war still wie ein Grab und plötzlich fühlte es sich auch genau so an. Es war, als würde jemand auf Nilahs Brust drücken. Ruckartig stand sie auf, um besser Luft zu bekommen. Sie blickte aus dem Fenster und erstarrte.
Der Garten lag da, wie in einem Licht aus einer fernen unbekannten Welt. Die Strahlen der wenigen Laternen, die entlang des Fleets aufgestellt waren, und die weiche Beleuchtung der Nachbarhäuser flossen zähen Fingern gleich durch die Bäume am Ende des Gartens. Und aus ihnen schälte sich eine Gestalt. Für einen Moment musste Nilah den Atem anhalten, bevor sie begriff, was dort stand.
Es war ein … Wolf. Sie sah schlanke Beine, darüber einen Körper, der so viel Stolz ausstrahlte, dass ihr schwindelig wurde. Nilah stand vor der Scheibe der Terrassentür. Einige Herzschläge lang konnte sie nur staunen. Dann zerbrach alles, denn der Wolf schwankte kurz, als sei ihm eine zu schwere Last auferlegt worden, kippte einfach auf die Seite und blieb mit bebenden Flanken mitten auf dem Rasen liegen. Er hob noch leicht den Kopf, als wolle er damit auf sie zeigen.
Ein tiefes Gefühl von Anteilnahme erfasste sie wie eine Welle und ließ sie mit einer Unfähigkeit, darauf zu reagieren, zurück. Das schockierte sie noch viel mehr.
«Diese Nachricht ist für mich», sagte plötzlich jemand ganz leise hinter ihr. Dann senkte sich eine Hand auf ihre Schulter, von der sie glaubte, sie noch bis in ihre Träume zu spüren, denn sie war unglaublich sanft.
Liran schob die Tür auf. Er ging auf den Wolf zu. In jedem Schritt sah Nilah einen Verlust, den sie nicht erklären konnte. Sie fühlte ihn einfach. Eine Träne löste sich aus ihrem Auge und rann an ihrer Wange herunter.
Liran hatte es gespürt. So wie man Nähe spürt, wenn sie wirklich da ist. Er hatte nicht schlafen können. Er hatte Nilahs offene Augen wie einen Wind auf seiner Haut wahrgenommen. Doch dann hatte sich etwas geregt. Tief in ihm erwachte etwas zum Leben und dieses Gefühl zog ihn zu sich hinab. Es war Trauer, leidenschaftliche und verzehrende Trauer. Als er in den Garten blickte und ihn sah, war er kurz davor, den Verstand zu verlieren. Mit langsamen Schritten ging er auf Ihad zu und kniete sich nieder. Seine Hand strich über das weiche Fell, der Geruch von Blut und Gift ließ ihn heftig schlucken. Ein Dam ´Daru ragte aus dem wunderschönen grau gezeichneten Fell und war noch immer dabei, sich tiefer zu bohren. Das Geräusch war unerträglich.
«Es tut mir so leid», flüsterte Liran, senkte seinen Kopf, um ihn an die Stirn des Wolfes zu lehnen.
«Ich hatte nie Zweifel an dem, was Enya getan hat!», stöhnte der Wolf. Seine Stimme war nur noch ein kaum hörbares Vibrieren. «Ich habe in Deinem Herzen geschlafen, Fian. Durch Deine Augen zu sehen, durch Deine Adern zu wandern, war ein Geschenk.»
Der Krieger wusste nicht, was er sagen sollte, alles in ihm schien schweigen zu wollen und wilder Zorn überkam ihn. Er wischte sich über die Augen.
Der Wolf begann zu zittern, seine Augen flehten nach Vereinigung. «Sie kommen, Liran. Zwei Schiffe und sie wissen wo Du bist, wo sie ist. Sie werden kommen.»
«Wie viel Zeit habe ich noch?» Liran presste seine Lippen gegen die Stirn des Wolfes und ein grollendes Heulen stieg in ihm auf.
«Zwei Tage, vielleicht weniger. Die Stadt ist voller Wasser, das hält sie auf. Ich habe einige Flüsse und einen See durchschwommen, verwischte meine Spur.»
Liran konnte den Mut und die Kraft, die dafür nötig gewesen waren, nur bewundern. Das vom Gift schwarz gewordene Blut färbte Ihads Zunge und Zähne. Sein Brustkorb fing an zu zittern. Verzweifelt schnappte er nach Luft. «Sag ihr, dass … ich Sie liebe, zwei von ihnen habe ich in
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