Die Betäubung: Roman (German Edition)
jetzt nicht darüber reden, denkt er. Es ist nur logisch, dass ich erst wieder hineinkommen muss. Monatelang nicht gearbeitet, unter starkem Stress gestanden, kritisches Lebensereignis gehabt. Natürlich verliere ich dann den Biss, die Intuition. Das geht vorüber. Nur Geduld. Abwarten, wie es nächste Woche wird.
»Ich habe heute Nachmittag im Institut Bescheid gegeben, dass sie wieder Leute an mich überweisen können. Und einen Termin beim Verlag ausgemacht. Es wird Zeit, dass ich mein Buch fertigstelle.«
»Ich warte schon darauf«, sagt Peter. »Ein Buch über unser Fach. Das ist gut, auch für unseren Nachwuchs. Davon haben sie was. Ja, setz dich schnell wieder an den Schreibtisch.«
Drik leert sein Glas und starrt vor sich hin. Man sollte seinen Patienten mit einer gewissen Autorität begegnen, mit dem Bewusstsein, dass man etwas für sie darstellen kann – vielleicht nicht das, was sie sich erwarten, nicht Glück, nicht Heilung, aber etwas Wertvolles, etwas Echtes. Das gelingt nicht, wenn man sich selbst für einen inkompetenten Scharlatan hält, für einen armen Tropf, der angeschlagen im Lehnstuhl hängt. Ich werde mich am Riemen reißen. Das muss sich ändern. Von jetzt an. Er hebt sein Glas, und Suzan gießt ihm nach. Peter liest die Zeitung. Die Lasagne duftet.
4
In der Holding Area liegt die Frau mit dem kaputten Knie und harrt der Dinge, die da kommen sollen. Die Schwester hat ihr schon mal eine OP-Haube über das dunkle Haar gezogen. Suzan geht mit ausgestreckter Hand auf das Bett zu.
»Ich bin Doktor Lagrouw, von der Anästhesie. Ich mache gleich die Narkose bei Ihnen. Aber vorher möchte ich noch einige Fragen stellen. Haben Sie Bedenken?«
Die Frau lächelt schwach und zuckt die Achseln. Suzan greift zu den Formularen und feuert die obligatorischen Fragen ab: Geburtsdatum, Name, an was werden Sie operiert, darf ich mal Ihr Armband sehen, ist Ihr Bein markiert? Eine stumpfsinnige, scheinbar überflüssige Prozedur, die jedoch dazu beiträgt, fatale Versehen zu vermeiden. Etwa, dass ein Gallenblasenpatient unter den Händen des Chirurgen ein Bein verliert. Die Frau zeigt Suzan den schwarzen Pfeil, der das schmerzende Knie anzeigt.
»Sind Sie gegen irgendetwas allergisch, Jod, Pflaster? Haben Sie Ihre Schlaftablette bekommen? Hatten Sie früher schon einmal eine Vollnarkose?« Das wurde bereits beim präoperativen Gespräch in der Ambulanz abgeklärt und muss irgendwo in der Patientenakte verzeichnet sein. Aber wir wiederholen, denkt Suzan. Wiederholung weckt Vertrauen, und es ist gut, ein paar Sätze miteinander zu wechseln, auch wenn es immer wieder dieselben Sätze sind.
Die Anästhesieschwester Carla kommt herein, eine schon etwas ältere Mitarbeiterin mit graublonder Kurzhaarfrisur.
»Ich habe das Gerät schon überprüft und deine Utensilien bereitgelegt. Gehen wir?« Sie setzt ihren Haarschutz auf, und zu zweit steuern sie das Bett durch den engen Flur. Auf der einen Seite steht jemand, der gerade einen Medikamentenwagen belädt, ein Stück weiter sind Putzkräfte dabei, ihre Ausrüstung herzurichten. Alle tragen die gleiche Bekleidung, Haarschutz und Clogs.
Carla lenkt das Bett behutsam um die Ecke und sorgt dafür, dass es nicht gegen die Wand stößt. Alles soll glatt und ruhig verlaufen, keine Schocks, nichts Unvorhergesehenes. Carla arbeitet schon seit mehr als zwanzig Jahren hier, und Suzan ist froh über ihren Erfahrungsschatz. Carla weiß oft schon, bevor Suzan es formulieren kann, was sie gerade benötigt. Wenn die Patientin später in Narkose liegt, kann Suzan sie getrost Carla überlassen, um anderswo die nächste Einleitung zu machen.
Carla tritt auf den Fußschalter neben dem Eingang zum Operationssaal, die Tür öffnet sich, und sie fahren das Bett hinein, neben den schmalen Operationstisch. Suzan fällt auf, dass sich die Patientin gar nicht umschaut, das imposante Narkosegerät mit seinen Schläuchen und Monitoren nicht zu sehen scheint, die weggeklappten OP-Leuchten nicht registriert. Die Patientin schwingt sich selbst vom Bett auf den Tisch hinüber. Carla fährt das Bett auf den Flur zurück.
Suzan kontrolliert, ob die Frau gut liegt, und setzt sich auf einen Hocker zu ihr, um den weiteren Ablauf zu erklären. Zuerst der venöse Zugang, dann das Warten auf den Chirurgen, dann der Schlaf. Eine junge Frau in voller OP-Montur mit Mund- und Haarschutz betritt den Saal.
»Hallo«, sagt Suzan, »wir haben schon mal angefangen.« Ihre Assistenzärztin. Die hat nicht
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