Die Betäubung: Roman (German Edition)
Aktion. Jemand macht den Wandcomputer an, ein anderer trägt den Tritt für die OP-Schwester herbei, zwei Leute heben das Bein, das operiert werden soll, in die richtige Position. Mitten in dem Gewusel öffnet sich die Tür zum Vorbereitungsraum, und die OP-Schwester fährt den hohen Tisch mit den Instrumenten herein. Wie auf Kommando binden sich alle den Mundschutz über Mund und Nase.
Die OP-Schwester reißt Packungen mit sterilen Tüchern auf, deckt die Patientin ab, blickt über ihre Schulter, ob die Chirurgen schon so weit sind, ja, sie schreiten, die sterilen Arme erhoben, in den OP, Schürzen müssen ihnen jetzt umgebunden, Handschuhe angezogen werden – die Verpackungen landen in einer Ecke. Das grüne Tuch am Kopfende des Tisches muss in die Senkrechte, Suzan rollt einen Infusionsständer heran und befestigt das Tuch beidseits mit großen Wäscheklammern. Hinter dieser Zeltwand verrichtet sie ihre Arbeit. Sie befühlt kurz die Wange der Patientin. Nicht schwitzig, gute Temperatur.
Wir sitzen im unreinen Teil, denkt sie. Jenseits des Tuches ist alles steril, heilig. Wir sind irdischer. Birgit hat den Koffer mit den Opiaten geöffnet, und Suzan bereitet die Schmerzstillung vor. Sie blickt auf den Monitor. Wenn der Chirurg anfängt zu schneiden, wird sich die Herzfrequenz rasant beschleunigen, der Blutdruck steigen. Sie spritzt Fentanyl in den Venenzugang.
»Dreiviertelstunde, schätze ich«, sagt der Chirurg. Augen und Brauen übernehmen den Rest der Kommunikation.
»Schön«, sagt Suzan, »dann können wir den Patienten für den zweiten OP einleiten. Kommst du mit, Birgit?«
Carla bleibt zur Überwachung da, sie wird Suzan anpiepsen, falls irgendwelche Unregelmäßigkeiten auftreten sollten. Das bei ihnen praktizierte System von Parallelnarkosen nötigt Suzan, den ganzen Tag zwischen zwei OPs hin- und herzuflitzen. Es ist eine Kunst für sich, die Narkosen so zu planen, dass die riskanten Phasen jeweils zeitlich versetzt liegen; eine reife Leistung, wenn es gelingt, dabei eine Einleitung nach der anderen in Ruhe abzuwickeln. Wenn sich Eingriffe in die Länge ziehen, muss sie überall gleichzeitig sein. Die Anforderung von Hilfstruppen empfindet sie als kleine Niederlage, aber die liegt nun mal im System begründet, und dann bleibt ihr keine andere Wahl, als den diensthabenden Kollegen anzupiepsen. Wenn sie selbst Dienst hat, findet sie es nicht schlimm, irgendwo einspringen zu müssen – eine Überraschung, eine Herausforderung, sich auf die Schnelle in eine neue Situation einleben zu müssen. Doch wenn die Rollen vertauscht sind, merkt sie, dass sie nur schwer um Hilfe bitten kann.
»Der Nächste ist für dich«, sagt sie zu Birgit. »Ich helfe dir kurz, das Bett hinzufahren, und dann kannst du allein schalten und walten. Du weißt mich ja zu finden, wenn du etwas mit mir besprechen möchtest.«
Birgit scheint förmlich zu wachsen. Sie richtet sich gerade auf und löst den Mundschutz. Ich darf sie nicht in ihrer Würde verletzen, denkt Suzan, muss ihr Freiräume geben, Verantwortung übertragen. Soll sie doch die Mitarbeiter gegen sich aufbringen, soll sie sich doch mit den Chirurgen anlegen.
In der Holding Area bleibt sie an die Wand gelehnt stehen, während Birgit sich dem Patienten vorstellt und das Frageritual abspult. Dann rollen sie gemeinsam das Bett auf den Flur hinaus.
Suzan zieht die unteren Bänder ihres Mundschutzes auf. Sie braucht mehr Luft zum Atmen. Zurück zur Knieoperation. Carla erstattet Bericht: gute Sauerstoffsättigung, Blutdruck in Ordnung, keine Komplikationen.
»Ich schließe gerade, du kommst genau zur rechten Zeit«, sagt der Operateur. Sie lachen. Suzan stoppt die Propofolzufuhr. »Vielleicht noch etwas Schmerzmittel, das wird angenehmer für sie sein, wenn sie aufwacht«, sagt sie zu Carla. Sie entfernt das grüne Tuch und reibt der Patientin über die Wange.
»Es ist vollbracht, aufwachen, wir sind fertig!«
Wie Menschen aus den Tiefen des künstlichen Schlafs emporklettern, ist jedes Mal wieder ein Wunder. Das Zittern eines Augenlids kündigt das wiedererwachende Bewusstsein an, in die Muskeln scheint eine gesunde Spannung zu treten. Bewegungsdrang und das Bedürfnis zu husten oder zu schlucken machen sich bemerkbar, sowie der Patient den Tubus wahrnimmt.
Sie saugt den Rachenraum aus. »Tief einatmen jetzt, dann holen wir das Ding raus, nur zu, jetzt!«
Mit geübter Hand zieht sie den Tubus heraus. Die Patientin hustet, bewegt den Kopf, sieht Suzan an. »Ist es
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