Die Betäubung: Roman (German Edition)
zu spät zu kommen, denkt sie, aber ich werde jetzt nicht meckern. Sie stellt sie der Patientin vor: »Meine Kollegin Doktor Moens. Wir beide werden gut für Sie sorgen.«
»Ich weigere mich, hier rumzuhängen, bis diese Chirurgen sich endlich mal blicken lassen«, sagt Birgit Moens. »Jeden Morgen das gleiche Lied. Rücksichtslos. Unkollegial. Ich ruf sie auch nicht mehr an.« Sie klingt beleidigt. Suzan sieht sie an. Gut, dass der Mundschutz ihren zweifellos missfällig verzogenen Mund verdeckt.
»Möchtest du den Zugang legen, Birgit?« Suzan macht Platz, und ihre junge Kollegin beugt sich über die Hand der Patientin.
»Wo bleiben die denn bloß? Unmöglich! Wie sollen wir denn da den Zeitplan einhalten? Das geht doch nicht!«
»Vielen Dank, Doktor Moens«, sagt Suzan, als die Kanüle sitzt. »Kommen Sie bitte mal kurz zu mir?«
Hinter dem Narkosegerät stehen sie einander einen Moment gegenüber. Du hast deine Weiterbildung abgeschlossen, du bist technisch versiert, aber eine gute Ärztin bist du nicht, würde Suzan am liebsten sagen. Du stellst keinen Kontakt zu deinen Patienten her, und du bist eine unangenehme Kollegin. Wenn du reinkommst, ist keiner darüber erfreut.
»Du hast recht, Birgit. Es ist sehr ärgerlich, dass die Operateure laufend zu spät kommen. Das können wir leider nicht ändern. Aber wir können dafür sorgen, dass es hier im OP ruhig ist. Der Patient hat nichts mit unseren Zeitproblemen zu tun. Und die soll er auch nicht zu spüren bekommen. In Ordnung?«
Über dem Mundschutz läuft Birgits Gesicht rot an. Sie wendet sich brüsk ab und inspiziert die bereitliegenden Medikamente. Suzan seufzt und setzt sich wieder neben den Operationstisch.
»Wir warten noch eben auf den Chirurgen, der möchte Ihnen auch noch ein paar Fragen stellen. Liegen Sie gut?«
Carla hat die Frau mit einer wärmenden Decke zugedeckt. Hinter der Tür zum Vorbereitungsraum ertönt das Klappern von Metall auf Metall. Die OP-Schwester macht den Instrumententisch fertig, durch das Fenster in der Tür sieht Suzan ihr über die Zangen und Scheren gebeugtes ernstes Gesicht. Das Lüftungssystem gibt ein leises Schlürfen von sich. Die Leuchten summen. Die Uhr tickt weiter.
Dann, endlich, kommen die Chirurgen herein, mit großen Schritten, die Arme entblößt. Auf einmal ist der Raum gefüllt. Die Patientin auf dem Tisch wird angesprochen und erneut nach Geburtsdatum, Armband, Pfeil auf dem Knie befragt. Der Operateur kreuzt die Antworten auf seiner Liste an und blickt zu Suzan.
»Doktor Lagrouw, Sie können. Wir gehen zum Waschen.« Die Chirurgen verschwinden in den Waschraum, wo sie sich Hände und Arme zu schrubben beginnen.
»Jetzt versetzen wir Sie in Schlaf«, sagt Suzan. »Bitte ein paarmal tief atmen, in die Maske, ja, so ist es gut.« Sie drückt die Kappe über Nase und Mund, gut so, noch einmal, tief einatmen. Sie legt die Hand auf die Schulter der Patientin und gibt Birgit ein Zeichen, dass sie anfangen kann. Der dicke, milchige Saft des Vergessens fließt in die Vene der Frau, sie versucht noch etwas zu sagen, aber verstummt. Ihr Gesicht entspannt sich.
»Sie ist weg«, sagt Birgit. »Soll ich intubieren?« Sie hat das Laryngoskop schon in der Hand. Suzan nickt, und Birgit beugt sich über den Kopf der Patientin. Sie späht konzentriert durch das eingeführte Laryngoskop und schiebt vorsichtig den Tubus zwischen den Stimmbändern hindurch.
»Ich bin drin!« Mit dem Ellenbogen drückt sie den grünen Beatmungsbeutel, den sie sich unter den Arm geklemmt hat, gegen ihre Rippen. Dann horcht sie mit ihrem Stethoskop die Lunge ab. Der Brustkasten bewegt sich im Takt des Beutelrhythmus. Alles einwandfrei.
Suzan sieht, wie Birgit dasteht – zufrieden, triumphierend –, wie sie die Schläuche anschließt und überprüft. Nichts als ein Mädchen, das alles richtig machen möchte, denkt sie, das so schnippisch tut, weil es Angst hat zu versagen. So würde Drik denken und Peter auch. Die würden sich fragen, woher dieses Unleidliche bei ihr rührt. Die würden ihre Persönlichkeitsstruktur in ihre Überlegungen einbeziehen, wertfrei, ohne die Verärgerung, die ich immer verspüre.
Sie greift zu den Seitenstützen und montiert sie am Tisch, polstert sie mit Gelkissen und bettet die Arme der Patientin sorgfältig dagegen. Dann schließt sie deren Augenlider mit Klebeband und schaut nach, ob auch nirgendwo ein Schlauch abgeklemmt wird. Der Medikamentenwagen wird näher herangerollt, plötzlich sind alle in
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