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Die Betrogenen

Die Betrogenen

Titel: Die Betrogenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Maar
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kicherte kurz –, war das «Angaugebiet Burgund». Da hatte der alte Vigneron wohl noch andere Zeiten im Kopf.
    Nora lächelte und schwieg. Als sie das letzte Mal länger in Kalifornien war, sagte sie nach einer kleinen Pause, hatte sie einen Gärtner, wie jeder in Menlo Park. Ihrer war ein schwarzer drahtiger Mann mit Rastalocken, kein Hispanic wie die andern; jeden Morgen um vier oder fünf fuhr er aus San Francisco los, um seine Klienten zu versorgen, seine Verlobte war im Knast – egal. Jedenfalls, diesen Gärtner, den schmückte ein Name nicht ohne Bedeutung, über die hatte ihn aber noch niemand aufgeklärt. Zum Abschied nach sechs sehr netten Wochen hatte sie ihm eine Flasche Wein mit seinem Namen auf dem Etikett geschenkt.
    Karl wartete darauf, ob sie wieder mit der Nasenspitze zucken würde, was sie diesmal aber unterließ.
    Und erst dann, bei seinem blinden Dankesblick, hatte sie kapiert, warum die Zettel, die sie im Haus hinterlassen hatte, wenn sie irgendwelche Wünsche anmelden wollte, immer ohne Wirkung geblieben waren: «Michael Bordeaux konnte nicht lesen.»
    Nora lachte hell auf, ihre Wangen waren leicht gerötet. Karl schwoll das Herz an. Dummerweise konnte er beim besten Willen nicht sagen, ob das vorhin ihr Fuß war, der ihn unter dem Tisch gestreift hatte; vielleicht war es auch nur Einbildung oder Versehen. Er versuchte sich zu erinnern, ob in der Herrentoilette einer jener nüchternen Automaten hing; sollte er sich später für zwei Mark ein Päckchen daraus ziehen? Aber dafür war Paolo wahrscheinlich schon zu gehoben. Nora betrachtete ihn ohne Zurückhaltung, wahrscheinlich las sie seine Gedanken, wie es ihr Vater so oft tat. Karl wurde ein bißchen schwindelig.
    Jetzt kam auch schon der pakistanische Rosenmann. Karl bedauerte ihn wie jedesmal für das breitgefletschte Lächeln, das er während seiner stockenden Prozession von Tisch zu Tisch aufsetzte und wie eine Maske beim Hinausgehen sofort wieder abnahm; und wie jedesmal blieb das Bedauern folgenlos. Daß seine Rosen überteuert waren und nach zwei Tagen die Köpfe hängen lassen würden, war nun nicht zu ändern. Dabei blieb er fast unverfroren lange an ihrem Zweiertisch stehen; Pärchen waren praktisch seine einzige Klientel. Ob sie sich über eine dieser langstieligen gelben Rosen gefreut hätte? So scharf am Ziel vorbeigeschrammt jedenfalls war der Pakistani noch nie, der jetzt schon im Lokal das Fletschen ablegte und in seine natürliche mürrische Miene schlüpfte. Verkauft hatte er wie immer nichts, Karl fragte sich, wie er über die Runden kam.
    Ihr Vater sei doch sehr dominant gewesen, sagte Nora plötzlich nach einem kurzen Gähnen und nahm noch einen Schluck Wein.
    War das der Moment, mit der Wahrheit herauszurücken? Vielleicht würde es ihr gefallen, wenn er mit ihr gemeinsam über Bittner seufzte. Er könnte andeuten, selbst er, der ihn zufällig auch etwas kannte, habe schon so seine Beobachtungen gemacht; mit Bittner als Vater wäre es sicher nicht ganz leicht. Aber dann stünde sofort die
Ars Vitalis
-Geschichte in schiefem Licht – besser, wenn er nur zuhörte und nachfragte.
    Ja, ihr Vater? Aber Nora winkte ab und unterließ weitere Enthüllungen.
    Hielt sie ihre Zigarette nicht ähnlich wie Bittner, fast ein bißchen affektiert? Bei diesem Vater war es wohl nicht anders möglich, als daß sie gleich nach dem Essen rauchte. Die abgebrannten Streichhölzer wieder in die Schachtel zurückzustecken, war aber eine kleine Unsitte. Jetzt drehte sie die Spitze im Aschenbecher hin und her, der Kegel war konisch und glühte hell.
    Wie es weitergehen sollte, war Karl noch unklar, er hatte wenig Erfahrung auf diesem Gebiet. Zu seiner Überraschung war es Nora, die vorschlug, sein Arbeitszimmer mit der kahlen Wand, die er erwähnt hatte, für mögliche Bildankäufe zu inspizieren. Wenn seine Wohnung schon gleich um die Ecke lag?
    Es regnete, als sie das Lokal verließen, es goß geradezu. Karl bat Paolo um einen Schirm, von dem er wußte, daß er ihn lange nicht zurückbringen würde; Regenschirme brachte man nicht zurück, man ließ sie immer nur stehen. «War alles recht? Darf ich weiterkochen?» Wie oft am Tag mußte Paolo diese Floskel über die Lippen bugsieren? So oft wie der Briefträger, der vom Päckchenempfänger statt der Unterschrift ein Autogramm erbat?
    In der Wohnung bei ihm war sie gleich verschwunden, schon zum dritten Mal an diesem Abend, offenbar hatte sie eine zarte Blase. Dann schaute sie sich in der kleinen

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