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Die Beute

Die Beute

Titel: Die Beute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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endlich! Das Töpfchen-Monster wird dich nicht erwischen, ich verspreche es. Wir werden alles nach Schlangen absuchen, bevor du gehst. Lass es uns jetzt hinter uns bringen, dann können wir über den Stützpunkt nachdenken.«
    Michael schloss die Augen und holte tief Luft. Als er sie wieder ausstieß, wirkte er ruhiger. »In Ordnung.« Aber er taumelte trotzdem wie im Halbschlaf, als Jenny ihn zum Badezimmer führte.
    »Siehst du? Keine Schlangen. Und ich werde direkt davor stehen bleiben.«
    »Lass die Tür einen Spaltbreit offen.«
    »In Ordnung, Michael.« Jenny stand geduldig da.
    »Jenny?«, drang es kleinlaut durch die Tür. »Eine Toilette hat große Ähnlichkeit mit einem Loch …«
    »Mach einfach, Michael!«
    »Okay.« Nach einer Minute ging die Toilettenspülung.
    »Siehst du? Es geht dir gut.«

    Michael antwortete nicht. Die Toilette spülte weiter.
    »Michael?«
    Das Geräusch von fließendem Wasser. »Michael, das ist nicht komisch! Komm da raus oder ich komme rein.«
    Das Wasser strömte weiter.
    »Verdammt, Michael! Okay, ich hab dich gewarnt …« Sie riss die Tür auf.
    Das Badezimmer war leer. Die Toilette spülte wie wild, das Wasser wirbelte im Kreis. Und auf dem Rand des Porzellansitzes war eine Papierpuppe.
     
    Fünf kleine Püppchen in einer Reihe. Audrey saß mit nach oben gedrehtem Arm da, als wolle sie sagen: »Können wir reden?« Zachs mit Bleistift schattiertes Gesicht sah scharf und boshaft aus. Dee fiel immer wieder auf den Rücken, ganz gleich wie Jenny sie faltete. Auf Tom perlten noch immer ein, zwei Regentropfen. Und Michaels Bleistiftaugen schienen Jenny anklagend anzustarren.
    Sie hatte versprochen, dass es ihn nicht erwischen würde, und es hatte ihn doch erwischt.
    Jenny war schuldig, genauso wie sie an Summers Tod schuldig war. Nicht in dem Sinne, wie die Polizei vermutet hatte; nicht in dem Sinne, dass sie Summer den Kopf abgehackt und ihren Leichnam im Garten vergraben hatte. Aber sie war diejenige, die Summer da hineingezogen hatte. Jenny hatte Summer eingeladen, ein Spiel zu spielen, das tödlich gewesen war. Jenny war
lebend herausgekommen, aber Summer nicht. Jennys Spiel hatte Summer getötet.
    Und jetzt hatte es vielleicht auch den Rest ihrer Freunde getötet.
    Sie war allein. Die Wohnung hallte förmlich wider vom Alleinsein. Aus der Toilette drang kein Geräusch mehr, da sie ein Buch unter den Hebel der Spülung geklemmt hatte, um sie zu stoppen.
    Einen nach dem anderen hatte er geholt. Wie die zehn kleinen Negerlein. Sie war als Einzige übrig und sie war die Nächste.
    Der Stützpunkt. Ich muss den Stützpunkt finden. Ich muss sie erreichen, bevor Julian mich erreicht.
    Aber wie?
    Die Hinweise. Sie musste sich erinnern. Aber ihr Verstand war völlig verwirrt. Sie war ganz allein – sie konnte die Luft um sich herum spüren. Sie konnte spüren, wie leer jeder Raum der Wohnung war. Die Leere erdrückte sie.
    Die Hinweise. Denk an sie, denk an nichts anderes. Ruf sie dir ins Gedächtnis.
    Aber ich bin allein …
    Bild im Gegensatz zur Realität.
    Eine Tür, die sie gesehen hatte. Eine Tür, durch die sie hindurchgegangen, aber auch nicht hindurchgegangen war.
    Nicht in der Schattenwelt. Vielleicht irgendwo auf halbem Wege.

    Was lag sonst noch auf halbem Weg? Auf halbem Weg wie der Noch-mehr-Spiele-Laden …
    Schwarz und weiß.
    Da ging ihr ein winziges Licht auf. Ja. Es würde passen. Eine Tür, die sie gesehen hatte und durch die sie hindurchgegangen war – aber eine, durch die sie unmöglich hatte hindurchgehen können, je nachdem, wie man es betrachtete. Eine schwarze und weiße Tür.
    Genau in diesem Moment flatterte ein Stück Papier herunter.
    Aus dem Nichts. Es kam aus der Luft, als hätte es jemand von der Decke geworfen. Es segelte zur Seite und landete fast auf ihrem Schoß.
    Jenny hob es auf und betrachtete die Schrift.
    Ich bin etwas. Ich bin nichts.
Ich bin klein. Ich bin groß.
Wenn du stolperst und fällst,
dann stolpere ich und falle.
Ich bin noch nie bei Neumond
gesehen worden.
Ich gedeihe am Abend, verschwinde am Mittag.
Ich bin leichter als Luft, ich wiege weniger
als ein Atemzug.
Dunkelheit zerstört mich, Licht ist mein Tod.
    Vor drei Wochen hätte Jenny damit vielleicht Probleme gehabt. Was konnte von Licht und Dunkelheit zerstört
werden? Was konnte klein und groß sein? Was war etwas und gleichzeitig nichts?
    Aber seit dem zweiundzwanzigsten April, dem Tag des Spiels, war der Gegenstand dieses Rätsels in Jennys Kopf, hatte

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