Die Beutefrau
und mit der ›Pippinschen Schenkung‹ die Grundlage für den derzeitigen Kirchenstaat gelegt hatte, erhob ihn der dankbare Heilige Vater zum König. Von Bonifatius nach dem Ritus des Alten Testaments gesalbt, galt seine Macht fortan als unumstritten und ging später auf Karl über. Und der hatte schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon, auf welche Weise ihm Papst Leo den Erhalt des Petristuhls lohnen könnte.
Karl gab Anordnung, Kirche und Königshalle in Paderborn so schnell wie möglich auszubauen und den Ort zum Missionsbistum zu erheben, das dem Bischof von Würzburg unterstellt und vom Kloster Saint Médard in Soissons wirtschaftlich abgesichert werden sollte.
»Im heidnischen Sachsen kann man gar nicht vorsichtig genug sein«, mahnte der König. »Und außerdem wird sich der gesamte Klerus dort versammeln. Alle sollen sehen, was wir aus diesen Wilden gemacht haben!«
Das sagte Karl, doch er dachte an etwas anderes. Wie stolz seine Mutter auf ihn gewesen wäre, wenn sie hätte sehen können, daß er eine ihrer Lehren nicht vergessen hatte: »Alles im Leben hat seinen Preis. Wenn dir jemand ein Stück Tuch verkaufen möchte, wird er auf dessen schöne Farbe und die kunstvolle Verarbeitung hinweisen. Dreh das Tuch um, deute auf die losen Fäden und biete an, sie zu übersehen, wenn man dir im Preis entgegenkommt.« Augenblicklich fiel ihm Gerswind ein, die jetzt in Prüm in Bertradas altem Genitium die Tuchherstellung überwachte. Er ignorierte den Stich in seinem Herzen. Gerswind würde schon selbst dafür sorgen, daß es ihr gutging. Sie war stark. Und Papst Leo würde schon bald erfahren, um was er mit Karl zu verhandeln hatte.
Gerswind war herzlich von Vater Assuerus in Prüm empfangen worden, obwohl sich dieser zunächst ein wenig ratlos zeigte, wo und wie er sie unterbringen sollte.
»Du gehörst ja jetzt zum Hof, mein Kind«, sagte er nach ihrer Ankunft, »da geziemt es sich nicht, dich im Genitium nächtigen zu lassen, auch wenn sich die Witwe Gislind sicher darüber freuen würde. Schmeckt dir der Wein?« fragte er mit einem sehnsuchtsvollen Blick auf ihren Becher. »Meine Gesundheit verbietet ihn mir. Leider.«
»Er ist vorzüglich«, versicherte Gerswind und setzte hinzu: »Würde es Euch denn sehr schaden, wenn Ihr ein paar Tropfen davon in Euren Becher mit Wasser mischt? Nur eben so viel, daß Ihr ein wenig des Geschmacks prüfen könnt? Wein ist schließlich auch eine Medizin.«
Vater Assuerus horchte in sich hinein. Schon lange hatten ihn keine Koliken mehr geplagt, und so beschloß er, das Wagnis einzugehen.
»Aber wie viele Tropfen dürfen es sein?« fragte er.
»Wäre es ein Frevel, Gott dies entscheiden zu lassen?« fragte Gerswind zurück und setzte hinzu: »Schließlich hat er die Reben gemacht, und in seinem Buch wird ihnen viel Platz eingeräumt.«
»Wie sollten wir ihn dazu befragen?« rutschte es dem Abt heraus, noch ehe er bedachte, daß er sich einer Frau und einstmaligen Heidin gegenüber äußerte. Aber sie hatte ja recht: Es war verbrieft, daß Jesus aus Wasser Wein gemacht hatte.
Gerswind überlegte kurz und meinte dann: »Hängt Euren Ärmel in meinen Becher, und dann laßt Ihr ihn in Eurem so lange austropfen, bis Gott Euch ein Zeichen zum Einhalten gibt.«
»Zunächst wäre ein Gebet angebracht«, erwiderte der Abt leicht verunsichert. Wenn Gott ihn selbst seiner Schwäche wegen richten würde, wäre das zwar fürchterlich, aber lange nicht so schlimm, als wenn der Herr eine solche Strafe Gerswind oder anderen ihm anvertrauten Menschen auferlegen würde. Nur ein paar Tropfen Wein! Herr, ich esse seit Jahren nur noch trockenes Brot und trinke ausschließlich Kräuterwasser. Sind ein paar Tropfen Wein wirklich Sünde? Wenn ich sie aus geweihtem Tuch in meinen Becher rinnen lasse?
Gerswind beobachtete das hagere Gesicht des Abtes, das sich mit einem Mal verklärte.
»Es geschehe, wie du gesagt hast«, flüsterte er. »Ich hole geweihtes Tuch.«
Wie ein junger Mann sprang er von der Bank und verließ das Zimmer. Nach seiner Rückkehr küßte er das Tuch, das er in der Hand hielt, und tauchte es in den Weinkrug. Rasch nahm er noch einen Schluck seines Kräuterwassers – schließlich konnte er ja nicht wissen, wie viele Tropfen Wein ihm der Herr zugestehen würde –, hielt das durchnäßte Stück Stoff über seinen eigenen Becher und beobachtete beglückt, wie die Tropfen hineinperlten. Als er mit der linken Hand dem Tuch etwas Nachdruck verlieh, wurde an die
Weitere Kostenlose Bücher