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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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wieder. Sie sagte, daß sie sich einer Pilgerschar angeschlossen hatte, die dem Papst entgegengezogen war, aber sie weigerte sich, Antwort auf die Frage zu geben, weshalb sie den Hof verlassen hatte.
    Aus Furcht, Hruodhaid wieder zum Verstummen zu bringen, drang Gerswind nicht weiter in sie. Da bei niemandem Geheimnisse schlechter aufgehoben waren als bei Hruodhaid, rechnete sie damit, schon in Kürze das Rätsel dieser seltsamen Pilgerreise lösen zu können.
    Doch auch in Prüm schwieg Hruodhaid zu allen Fragen, die ihren Fortgang vom Hof betrafen. Munter plauderte sie in Gerswinds kleiner Kammer, die früher Frau Berta bewohnt hatte, über das Kind, das Rotrud von Rorico erwartete, über Karl den Jüngeren, der an die Ostgrenze des Reichs geschickt worden sei, und über die enttäuschten Aachener, die den Papst gern in ihrer eigenen Stadt empfangen hätten. Leicht erschauernd erzählte sie von der Magd Lindmuth, die eine Vision gehabt hatte, nach der sie vom Teufel besessen wurde, den ihr ein Priester auf unaussprechliche Weise austrieb, und angeekelt berichtete sie, daß Madelgard mit schwangerem Bauch und stolzgeschwellter Brust umherlaufe und behauptete, sie trage den jüngsten Sohn des Königs unter dem Herzen.
    Letzteres versetzte Gerswind einen kleinen Stich. Aber was hatte sie denn erwartet? Nein, ich wollte kein Kind von Karl. Noch nicht. Sie erschrak vor ihren eigenen Gedanken, legte ihre Stickarbeit aus der Hand und strich Hruodhaid liebevoll über das flammende Haar.
    »All das ist schön und gut«, sagte sie, »aber dennoch möchte ich wissen, weshalb du vom Hof geflüchtet bist. Und das bist du, nicht wahr? Mir brauchst du nichts vorzumachen – schließlich bin ich die Meisterin im Wegrennen«, fügte sie mit kleinem Lächeln hinzu. »Und manches Problem löst sich tatsächlich dadurch, daß man sich ihm eine Zeitlang entzieht.«
    »Dieses nicht«, brach es aus Hruodhaid heraus.
    »Kannst du in die Zukunft sehen?« fragte Gerswind leichthin.
    »Es hängt mit der Vergangenheit zusammen«, entrutschte es Hruodhaid. Sie biß sich auf die Unterlippe, um nicht noch mehr zu verraten.
    Gerswind musterte sie nachdenklich. »Das ist nicht gut. Vergangenheit und Zukunft sind unserem Zugriff entzogen. Wir haben nur eine einzige Zeit zur Verfügung, die Gegenwart. Nur in ihr leben wir. Aber wir können versuchen, die Vergangenheit zu verstehen und die Zukunft vorzubereiten.« Eine Lehre, die ihr Teles schon in frühen Jahren nahegebracht hatte.
    »Diese Sache ist ganz und gar unverständlich. Da gibt es nichts zu begreifen«, fuhr Hruodhaid heftig auf. »Es ist alles so f… f… fürch… fürchterlich.«
    Sie begann zu zittern.
    Gerswind nahm Hruodhaids Hände in ihre.
    »Sprich!« sagte sie eindringlich. Hruodhaid mußte reden, damit sie nicht wieder verstummte.
    Hruodhaid schüttelte den Kopf.
    »Ich kann nicht. Darüber sp… sp… sprechen.«
    Gerswind legte ihre Hände an Hruodhaids Wange und hielt sie einen Augenblick dort, ehe sie sich erhob und von ihrem Pult ein Wachstäfelchen und einen Stichel zog. Beides warf sie mit einer nachlässigen Bewegung vor Hruodhaid auf den Tisch.
    »Dann schreib es auf«, sagte sie ruhig.
    Zweimal hob Hruodhaid den Stichel auf, und zweimal legte sie ihn wieder hin. Vor Gerswinds forschendem Blick senkte sie die Lider. Gerswind begriff, daß sie Hruodhaid mit dem Wachstäfelchen allein lassen mußte, und entschuldigte sich:
    »Ich habe ein paar Anweisungen zu geben«, sagte sie. »Aber bleib hier. Ich komme gleich zurück.«
    Sie ging ums Haus und sah durch die schmale Fensteröffnung, daß Hruodhaid das Wachstäfelchen wieder ergriffen hatte, etwas hineinstichelte und dann das Täfelchen in eine Ecke des Raums warf.
    Gerswind hatte es daraufhin eilig, ins Haus zurückzukehren. Dabei übersah sie einen Mann in Laienkleidung, der mit einem Krug in der Hand um die Ecke des Hauses bog. Sie stieß so heftig mit ihm zusammen, daß der Mann zu Boden stürzte. Der irdene Krug blieb wie durch ein Wunder heil.
    »Verzeih«, rief sie entsetzt und half dem nicht mehr jungen Mann beim Aufstehen.
    »Es ist nichts geschehen«, antwortete er in einem etwas fremdartig klingenden Ton und blickte auf. Als unvermittelt ein Leuchten in seine Augen trat, überlegte Gerswind, ob der Angerempelte zu jenen armen Leuten gehörte, die nicht klar genug im Kopf waren, um allein überleben zu können, und daher vom Kloster aufgenommen und mit kleinen Arbeiten beschäftigt wurden. Sie sah sich in

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