Die Beutefrau
Tür geklopft. Hastig legte er den Stoff auf den Tisch und sah Gerswind beglückt an.
»Der Herr hatte ein Einsehen«, flüsterte er ihr zu, ehe er die Tür öffnete.
Gerswind freute sich, als sie den buckligen Pippin sah. Er war älter geworden und sah seinem Vater ähnlicher denn je, auch wenn seine Gesichtszüge viel feiner geformt waren und jetzt ein heiteres Lächeln seine Mundwinkel umspielte.
Sie sprang auf und strahlte ihn an.
»Ich habe gehört, daß du gekommen bist«, sagte Pippin, nachdem er sich vor dem Abt verbeugt hatte. Der hatte weitere Ehrenbezeugungen abgewinkt und widmete sich jetzt versonnen seinem Becher.
»Ich sehe, es geht dir gut – das freut mich. Was führt dich her?« fragte Pippin.
Ihm entging der Schatten nicht, der über Gerswinds Gesicht huschte.
»Bist du wieder einmal in Gefahr?« fragte er flüsternd.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich sehe nach dem Genitium«, erwiderte sie. »Teles ist tot.«
Der Abt blickte von seinem Becher auf. »Ein guter Mann. Friede seiner Seele.«
Asche, dachte Gerswind leicht verwirrt und schrak auf, als Vater Assuerus seinen Becher plötzlich laut auf dem Tisch absetzte.
»Natürlich! Du ziehst in Frau Bertas Villa! Bruder Pippin, begleite Frau Gerswind bitte zum Haus am Hang. Wird ohnehin Zeit, daß dort oben jemand Ordnung schafft.«
Frau Gerswind. Sie war siebzehn Jahre alt und jetzt Frau Gerswind. Das klang gut. Und Frau Bertas Villa auch. Irgend etwas zog sich in ihr zusammen. König Karl hatte ihr in jener Nacht viel erzählt. Er hatte ihr sogar etwas verraten, was kaum jemand wußte: Er sei höchstwahrscheinlich vor der Ehe seiner Eltern in dieser Villa geboren worden. So werde ich dir also weiterhin nahebleiben. Im Haus deiner Geburt und in Gegenwart deines ältesten Sohnes, der dir mehr ähnelt als alle deine anderen Kinder.
Sogar mehr als Karl der Jüngere, wie sie erstaunt feststellte. Auf der Reise nach Prüm hatte sie viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Sie hatte sich gefragt, weshalb sie so viele Jahre geglaubt hatte, Carolino zu lieben. Die Antwort war schmerzlich, aber einfach: weil er seinem Vater am ähnlichsten erschien. Und warum hatte sie sich nicht gleich in den Vater verliebt? Auch das begriff sie jetzt: Solange sie ein Kind war, gehörte Karl dem Bündnis der Älteren, der Väter, an, war unfehlbar und unvorstellbar für jene Gefühle, die das Blut in Wallung versetzten.
Sie erinnerte sich noch gut daran, wie entsetzt sie war, als er ihr zum ersten Mal den Vorschlag gemacht hatte, das Lager mit ihm zu teilen. Noch mehr entsetzt hatte sie die eigene Reaktion, denn sie hatte hinterher bedauert, das Gemach so schnell verlassen und Karl nicht nachgegeben zu haben. Und dann hatte sie sich noch verzweifelter in ihre Träume um Carolino gestürzt, um nicht darüber nachdenken zu müssen, was ihr der König tatsächlich bedeutete. Ob Teles dies geahnt hatte?
In jener Zeit hatte er ihr erstmals von seiner Tochter Sophia erzählt: »Sie starb, weil sie nicht verstehen konnte, daß ein König keinem Menschen allein gehören kann. Sie hat sich vom Gerüst der Basilika in Saint Denis gestürzt, weil sie diesen Gedanken nicht ertragen konnte.«
Hatte Sophia etwa auch Karl geliebt?
Wenige Tage später drang die Nachricht nach Prüm durch, daß der Papst auf dem Weg ins Frankenland in Trier haltmachen würde. Gerswind beriet sich mit Pippin.
»Dein Vater hat zwar Zweifel über den Hergang von Blendung und Heilung des Heiligen Vaters, glaube ich, aber immerhin ist Leo der Papst der Christenheit. Ich würde mir gern den Mann, der den lebendigen Gott vertritt, aus der Nähe ansehen.«
»Ich auch«, erwiderte Pippin nickend. »Wenn möglich, würde ich ihn fragen wollen, wie ich meine Schuld büßen kann. Im Kloster geht es mir gut, Gerswind, besser als je in meinem Leben zuvor, und es scheint nicht recht zu sein, meine Schuld auf diese Weise abzutragen.«
Auf dem Vordach von Frau Bertas Villa gestand ihm Gerswind endlich, welche Rolle sie bei der Aufdeckung der Verschwörung gespielt hatte. Es hätte nicht viel gefehlt, daß er aufgesprungen wäre und sie umarmt hätte, aber er war ein keuscher Mönch, und er blieb es.
»Ich danke dir«, sagte er. »Du hast Wundersames bewirkt. Und wenn unser geistlicher Führer nach Trier kommt, möchte ich ihn dort sehen.«
Gemeinsam gelang es ihnen, Vater Assuerus von dieser Reise zu überzeugen.
»Mir wäre es lieber, der Heilige Vater würde unsere Goldene Kirche in Prüm weihen«, brummte er,
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