Die Beutefrau
umging wie mit einer seiner leiblichen Töchter.
Doch in dieser Einschätzung hatte sie sich gründlich geirrt, wie sie zwei Abende nach ihrer Enttarnung in seinem Beratungszimmer erfuhr. Als der König freundlich fragte, ob sie ihn denn auch ein wenig liebhabe, antwortete sie: »Aber gewiß.« Und weil dies angesichts ihrer besonderen Verbindung etwas dürftig klang, setzte sie strahlend hinzu: »Sogar mehr als nur ein wenig.«
»Genau das habe ich auch gehofft«, erwiderte der König sachlich. »Dann ist es dir also recht, wenn wir das Liebhaben in meinem Schlafgemach vertiefen.«
Er stand auf und näherte sich Gerswind, die, wie vom Donner gerührt, sich erst wieder bewegen konnte, als er seine Hände auf ihre Schultern legte.
»Ich habe noch Arbeit zu verrichten«, erklärte sie hastig und floh zur Tür hinaus.
In den kommenden Tagen mied sie die Nähe des Königs. Ihre Scham war so groß, daß sie ihn nicht einmal ansehen konnte, wenn er sich im selben Raum aufhielt oder sie ansprach. Die Schuld für diesen Vorfall gab sie nicht dem König, sondern ganz allein sich selbst. In irgendeiner Weise mußte sie ihn ermutigt und dieses schreckliche Mißverständnis herbeigeführt haben. Aber am meisten schämte sie sich vor einem Gedanken, der immer wieder in ihr aufkam: daß sie sich um die Erfahrung gebracht hatte, vom König in die Arme genommen und liebkost zu werden. Daß es ihr vielleicht Freude bereitet hätte.
Zunächst hatte sie noch böse Folgen befürchtet. Der allmächtige König beantwortete Zurückweisung schließlich stets mit Krieg. Doch Karl verhielt sich ihr gegenüber unverändert freundlich und schien die Angelegenheit gänzlich vergessen zu haben.
Als sie wenig später erfuhr, daß der Monarch am Tag vor dem erneuten Sachsenfeldzug die schöne Liutgard heiraten würde, fiel es ihr endlich leichter, sich in seiner Gegenwart wieder unbefangen zu bewegen. Da sie mit niemandem über den Vorfall hatte reden und ihn dadurch nicht zu einer auch anderen Menschen bekannten Tatsache hatte machen können, beschloß sie einfach, die unangenehme Szene nur geträumt zu haben.
Alkuin hatte zusammen mit Äbtissin Gisela alle Redekunst aufwenden müssen, um Liutgard an den Königshof zurückzulocken. Als sehr junges Mädchen hatte die zwanzigjährige Alemannin zu jener Zeit mit Karl das Bett geteilt, da der König Fastradas überdrüssig zu werden schien oder ihn – wie Alkuin vermutete – Angst vor der Dämonenhaftigkeit dieses schrecklichen Weibes erfaßt hatte. Damals hatte er Liutgard seiner unverbrüchlichen Liebe versichert und ihr in Aussicht gestellt, in absehbarer Zeit selbst Königin zu werden, da er beabsichtige, sich von seiner derzeitigen Gemahlin zu trennen. Doch dann hatte er sich ohne Begründung oder Verabschiedung von einem Tag auf den anderen von Liutgard abgewandt und außer Fastrada keine Frau mehr angesehen. Alkuin zweifelte nicht im geringsten daran, daß sich Fastrada zu diesem Zweck eines Liebeszaubers bedient haben mußte. Er hatte heimlich Erkundigungen eingezogen, aber leider keine Beweise zutage fördern können.
Liutgard, die Karl aus tiefem Herzen zugetan gewesen war, konnte diese Kränkung nicht verwinden und zog sich in das Kloster Chelles zurück. Karls Schwester nahm sie dort unter ihre Fittiche und mühte sich, die Wunden zu heilen, die ihr Bruder in das Herz des jungen Mädchens geschlagen hatte. Liutgard, wild entschlossen, es nie wieder einem anderen Mann zu schenken, wandte sich voller Eifer dem Lernen zu, wurde bald zu Giselas herausragendster Schülerin und tat sich vor allem in den freien Künsten hervor. Helle Haut und feines, wie von Seide gesponnenes Blondhaar unterstrichen den Eindruck einer lichten Schönheit, wie auch die von dichten Wimpern umrahmten hellen Augen, die Freimut, Stärke und Ehrlichkeit ausstrahlten. Ein größerer Gegensatz zu Fastrada war nicht denkbar. Schon deshalb hatten sich Alkuin und Einhard so bald darauf geeinigt, sie an den Hof zurückzuholen.
In Äbtissin Gisela fanden sie eine Verbündete. Die Sanftheit Liutgards erinnerte sie an Karls einstige Gemahlin Hildegard, ihre geliebte verstorbene Freundin, doch dies war nicht der einzige Grund, weshalb sie eine Heirat zwischen ihr und Karl fördern wollte. Sie ahnte, wie sehr Hruodhaid unter Fastradas Spott gelitten haben mußte und wünschte ihrer Tochter eine Stiefmutter, die fürsorglich mit ihr umging. Und ihrem Bruder eine Frau, die ihn mindestens ebenso liebte wie die
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