Die Beutefrau
Schwester, die ihr Leben lang nur diesen einen Mann in ihr Bett gelassen hatte.
Also hatte sie sich Liutgard vorgenommen.
»Du bist zu klug, zu liebenswürdig und zu schön, um dein Leben hier im Kloster zu beschließen«, sagte sie zu ihr. »Als Königin kannst du viel bewirken und vor allem auch Karls jüngeren Kindern eine gütige Mutter sein. Oder möchtest du, daß sie wieder einem so hartherzigen Weib wie Fastrada ausgesetzt werden? Außerdem kannst du dann endlich wieder nach Herzenslust ausreiten – ich weiß doch, wie sehr dir die Jagd hier fehlt!«
»Karl hat mir einst das Herz gebrochen«, erwiderte die junge Alemannin leise, »und er wird es immer wieder tun, selbst wenn er mir abermals seine Gunst erweisen und mich gar heiraten sollte, wie ihr ja alle zu glauben scheint. Noch einmal könnte ich solche Qual nicht ertragen.«
Gisela zuckte die Achseln. Niemand kannte diesen Schmerz besser als sie.
»Mein Bruder kann eben nicht allein sein«, sagte sie mit einer Leichtigkeit, die sie nicht verspürte, »und er schätzt die Abwechslung. Ein König gehört nie ausschließlich einem Menschen. Aber die Krone der Königin, die würde dir ganz allein gehören.«
Liutgard erbat sich zwei Tage Bedenkzeit, sagte dann zu, den Hof zu besuchen und an einem Jagdausflug teilzunehmen.
Alles verlief nach Plan. Begeistert vom schönen Anblick, der sich ihm bot, und eingedenk der zärtlichen Stunden, die er einst mit ihr verlebt hatte, half Karl der jungen Frau höchstselbst beim Absitzen vom edlen Roß, küßte ihr die weiße Schläfe und wich an diesem Tag nur von ihrer Seite, um sich durch einen besonders kühnen Lanzenstich auszuzeichnen.
Als sie erklärte, am Tag darauf nach Chelles zurückkehren zu wollen, bot ihr Karl Hand, Herz und Krone an. Liutgard knüpfte an ihr Jawort allerdings eine Bedingung, die dem König diese Heirat eigentlich hätte verleiden müssen. Doch nach kurzem Bedenken willigte er ein – überzeugt, die sanfte Alemannin mit der Zeit umstimmen zu können. Allerdings mußte er zunächst wieder einmal gegen die Sachsen ins Feld ziehen.
Seinen uneinsichtigen Widersachern half auch nicht, daß sie sich für diesen Krieg mit den Friesen zusammengetan hatten. Die Strategie, die der König mit seinem Sohn Karl ausgearbeitet hatte, der doppelte Ansturm, entmutigte die Aufständischen so nachhaltig, daß sie sich auf der Stelle kampflos ergaben. Nachdem sie die üblichen Eide geschworen und Geiseln gestellt hatten, hoffte der König, das Elend mit den Sachsen endgültig bezwungen zu haben, und eilte nach Aachen.
Er freute sich darauf, endlich ein festes Domizil zu beziehen, die Wintermonate im Kreise seiner Familie zuzubringen, seine kriegsmüden Glieder in den Schwefelquellen wieder zu kräftigen und die Bauarbeiten vor Ort höchstselbst überwachen zu können.
Am Abend nach seinem triumphalen Einzug in das künftige Zentrum der Macht versammelte er seinen Hof um sich. Als er in lauter strahlende Gesichter blickte, fühlte er sich rundum wohl. Seine Familie – und darin schloß er auch die Mitglieder des ihm nahestehenden Hofstaats ein – schien über den festen Wohnsitz genauso beglückt wie er selbst zu sein. Niemand murrte mehr über die Entscheidung für Aachen, keiner beschwerte sich über die faulige Luft, die, wie der Wind es wollte, in immer wiederkehrenden Schwaden über das einstige Römerbad zog.
»Ein jeder benenne mir, was ihm an unserer neuen Heimstatt am bemerkenswertesten erscheint«, begann er und wandte sich an Liutgard.
Ohne zu zögern, antwortete sie: »Der achtstöckige Wohnturm. Er bietet genug Platz für uns alle und einen wunderbaren Blick über die gesamte Anlage mit all ihren …«
»Die achteckige Kapelle mit dem sechzehneckigen Außenbau ist doch noch erheblich bemerkenswerter!« unterbrach Ludwig sie empört.
Liutgard lächelte ihm freundlich zu: »Du hast recht, Ludwig, das Haus des Herrn ist ungleich eindrucksvoller!«
»Was hast du denn inzwischen über die Kapelle in Erfahrung bringen können?« fragte Karl seinen jüngsten Sohn.
»Daß sie aus Stein über Großvater Pippins Kirche gebaut wurde und dem Tempel Salomons gleicht, weil, weil …« Er sah sich hilfesuchend um.
»Weil die ganze Kirche auf einer West-Ost-Achse liegt, die genau nach Jerusalem ausgerichtet wurde«, sprang ihm Angilbert bei und setzte hinzu: »Für mich ist es eine Meisterleistung, daß man den Altar der alten Kirche dafür um achtunddreißig Grad drehen konnte. Ohne ihn
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