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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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dabei zu beschädigen!«
    Karl der Jüngere fand die hohe Kuppel des Baus am eindrucksvollsten und sprach den Schöpfern dieses Werks seine Bewunderung aus. Rotrud erfreute sich an den wunderschönen Mosaiken, die aus alten Gebäuden in Ravenna herausgebrochen und nach Aachen transportiert worden waren. Berta staunte, daß die riesigen Quader der Stadtmauern von Verdun und die Marmorplatten der römischen Kaiserpaläste in Trier über eine so weite Strecke befördert werden konnten. Ihr Bruder Pippin (der einstige Karlmann) widersprach: Es sei sicherlich noch viel mühsamer gewesen, mit dem ungeheuren Bronzestandbild des Germanenkönigs Theoderich aus Ravenna über die Alpen zu ziehen. Gisela schwärmte von den bunten Fenstern, und Theodrada fand es hilfreich, daß man sich jetzt nicht mehr mit Abbildungen römischer Säulen zufriedenzugeben brauchte, sondern eine Vielzahl von Originalen im eigenen Atrium studieren konnte.
    Alles erbeutet, ging es Gerswind durch den Kopf, so wie ich.
    Als sie an der Reihe war, nannte sie zu aller Überraschung den Thron. Über das schlichte kastenartige Möbel mit Seiten aus groben Marmorplatten und einem harten Holzsitz hatten sich viele befremdet gezeigt. Mancher hatte die Hoffnung geäußert, daß dieser Thron nach Fertigstellung des Baus durch ein feingeschnitztes, mit Diamanten und Edelsteinen versehenes Kunstwerk – eines so großen Herrschers würdig – ersetzt werden würde.
    Für Gerswind bestand der Thronsitz allerdings aus besonders kostbarem Material. Sie war beglückt, daß Holz von einer Donar-Eiche an einem so heiligen Ort gewürdigt werden sollte. Ihre erste Befürchtung, das Holz könnte durch seine Funktion als Sitzfläche entweiht werden, löste sich auf, als sie überlegte, daß ja auf ihm der gesamte Körper des Königs und somit die Hoffnung des ganzen Landes ruhte.
    »Das ist doch gar kein richtiger Thron«, widersprach Rotrud jetzt. »Und er wird im fertigen Gebäude doch sicherlich ausgewechselt werden!«
    »Ganz im Gegenteil«, erwiderte Karl mild. »Dieser Thron ist genau nach meinen Angaben gefertigt worden, und ich habe noch viel mit ihm vor. Unter dem Sitz befindet sich ein Hohlraum für Reliquien, und dort werde ich auch die Erde aufbewahren, die mit dem Blut des Heiligen Stephanus getränkt ist. Sechs Stufen werden zu ihm hinaufführen, wie einst zum Königssitz Salomons. Er bleibt auch nicht unten in der Halle, sondern wird auf der Westempore des oberen Umgangs dem Altar genau gegenübergestellt werden. Von diesem schlichten Möbel aus werde ich über den Hauptaltar hinweg unmittelbar auf das Mosaikbild Christi blicken und, auf einem harten Eichenbrett sitzend, die Welt gegenüber Gott vertreten.«
    Kurz kam Gerswind der Gedanke, daß der erbittertste Kämpfer gegen die Bilderverehrung offensichtlich vorhatte, Gespräche mit einer Abbildung Christi zu führen. Nun ja, er saß dabei ja auch auf den Resten einer Donar-Eiche …
    Karl überlegte, ob er den Anwesenden Alkuins Theorie der Kraftlinien verraten sollte, nach der sein Thron an jener bezeichneten Stelle zum Herzstück der Kapelle würde, besann sich aber eines Besseren und führte lieber aus, wie seine Kapelle ein an Zahlen ablesbares Bild des himmlischen Jerusalem darstellte, bei dem die heilige Zahl Zwölf und was sich aus ihr ergab zum Maß wurden: Die Kapelle war zwölf Latten lang, also einhundertvierundvierzig Fuß; die Seiten des Oktogons maßen zusammen zwölf Latten; die Höhe bis zum Gesims des Umgangs betrug achtundvierzig Fuß, das Dach weitere zwölf; das darüberragende Oktogon war vierundzwanzig Fuß hoch und dessen Dach ebenfalls zwölf. Um die Bedeutung dieser Zahl zu veranschaulichen, mußte Karl die anderen nicht auf die zwölf Monate des Jahres, die zwölf Stämme Israels, die zwölf Jünger Christi, die zwölf Engelscharen und die zwölf Tore der Stadt hinweisen. Nur Gerswind dachte auch noch an die zwölf Rauhnächte zwischen Weihnachten und dem 6. Januar, an die Wilde Jagd, wenn Wotan und Frau Berchta mit den Geistern durch die Lüfte flogen.
    Karl hatte mit dem alten Römerbad Aachen Gewaltiges vor, allerdings mußte er sich allmählich Gedanken darüber machen, wie die ungeheuren Kosten aufzubringen waren, die der enorme Bau verschlang. Als zusätzliches Ärgernis erwies sich, daß sich unzählige Arbeiter und Meister und sogar versklavte Kriegsgefangene an Kostbarkeiten bereicherten und sich vor schweren Arbeiten zu drücken oder von ihnen freizukaufen suchten.

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