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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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zwei seiner Kinder darüber im Bilde waren?
    Nichts war dem König mehr zuwider als das Gefühl, die Übersicht verloren zu haben. Über die Sprache, das eigene Land und das anderer, die Familie, die Kirche, seine Widersacher, den gesamten Hof, das Leben an sich. Nur deshalb beschäftigte er sich so gründlich mit jeder Kleinigkeit, auch wenn er wußte, daß seine Akribie bei vielen, die es nicht so genau nahmen, Kopfschütteln hervorrief. Er ließ sich bei Gesetzesvorlagen jede Einzelheit auseinandersetzen, benannte selbst jedes Kraut, das in den Gärten angebaut werden sollte, mußte bei neuen Erfindungen oder ihm bisher unbekannten Volksgruppen oder Pferderassen alle Hintergründe und Ursprünge kennen, hatte die üblichen vier Winde für zuwenig befunden und daher zwölf Windrichtungen einen Namen gegeben und sollte selbstverständlich über alle Vorgänge am Hof genau Bescheid wissen.
    Ihm blieb nicht verborgen, wenn seine Töchter mit ihren Liebhabern die Nächte verbrachten. Rorico hatte er deshalb zum Grafen von Maine ernannt, damit seine Lieblingstochter Rotrud einen standesgemäßen Umgang pflegte. Bertas Entscheidung für seinen alten Freund Angilbert hielt er für sehr vernünftig und förderte behutsam diese Beziehung. Keiner dieser Männer würde eine der Königstöchter heiraten können, aber beide waren unbestreitbar eine Bereicherung für Karls Hof, und die schönen Töchter würden ihm die klugen Köpfe erhalten. Schon deshalb, weil der Schmerz einer heimlichen Liebe größere Verbundenheit schuf als das warme Bad des ehelichen Einerleis. Er tat, als schlösse er die Augen vor den Liebschaften, aber er wußte von allem, was sich an seinem Hof zutrug. Zumindest hatte er das bis jetzt geglaubt.
    Daß sich die Tochter Widukinds als Näherin in seinen Frankfurter Wohnturm hatte einschleichen können, erschütterte diesen Glauben in seinen Grundfesten.
    Mit Hruodhaid würde er später abrechnen. Wie auch mit Karl. Äußerste Strenge war erforderlich. Er durfte nicht zulassen, daß ihm in irgendeinem Bereich die Kontrolle über seinen Haushalt entglitt oder gar wieder einmal eines seiner Kinder undurchsichtige eigene Wege einschlug. Seine Kinder durften keine Geheimnisse vor ihm haben und hatten ihm alles Bemerkenswerte augenblicklich zu melden!
    Er hielt inne. Wo blieb die Verräterin? Hatte er nicht angeordnet, sie unverzüglich vorzuführen?
    In diesem Augenblick wurde an die Tür geklopft und die Ankunft der Näherin Linde gemeldet.
    Er saß auf seinem mit feinem Schnitzwerk versehenen Holzsessel, als Gerswind eintrat. Das Mädchen verbeugte sich leicht, hob dann den Kopf und sah dem König geradewegs in die Augen. Ein langer Strang weißblonden Haares war bei der Verbeugung nach vorn gefallen und schimmerte auf dem nachtblauen Seidenstoff wie die Milchstraße im Sternenhimmel. Außer einem schlichten blauen Stirnband in der Farbe ihrer Augen trug sie keinen Schmuck. Dennoch hätte keine Königin erhabener wirken können als das fast dreizehnjährige Mädchen, das in diesem kunstvoll bestickten Oberkleid mit bloßen Füßen vor dem König stand. Gerswind hatte das Schuhwerk in der Eile vergessen, und da sie über kein passendes Untergewand verfügte, mußte sie sich vorsichtig und gemessen bewegen. Sie glaubte, die Wirkung des Kleides zunichte zu machen, wenn es vorn aufschlug und ihre nackten Beine zeigte.
    Das Lächeln, das Karl in des Mädchens Mundwinkeln zu erkennen vermeinte, während sie schweigend darauf wartete, von ihm angesprochen zu werden, empörte ihn. Er stand auf und tat einen Schritt auf sie zu.
    »Wo warst du?« fuhr er sie an, als wäre sie eine Tochter, die sich zu spät zur Abendtafel eingefunden hatte.
    »In Prüm«, antwortete Gerswind nach einem Augenblick der Überraschung. Sie hatte mit einer anderen Eingangsfrage gerechnet. »Unter falschem Namen habe ich dort im Genitium gearbeitet«, fuhr sie fort und setzte schnell hinzu: »Wo man mit sehr viel Liebe und Verehrung der edlen Frau Bertrada gedenkt, der Mutter unseres verehrten Königs.«
    Karl starrte sie an. Sein Gesicht zeigte keine Regung, und der Blick seiner Augen war nicht zu deuten. Plötzlich wandte er ihr den Rücken zu. Gerswind fragte sich besorgt, ob sie zu schnell vorgeprescht war. Sie hatte sich zuvor genau überlegt, was sie sagen wollte, wenn sie der König nach ihrem Aufenthalt in den vergangenen zwei Jahren befragte. Da er früher mit großer Achtung von seiner Mutter gesprochen hatte, war es ihr klug

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