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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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hat.
    »Ich verdanke dir mein Leben und das meiner Familie«, sagte er nüchtern. »Da wäre es doch sehr undankbar, wenn ich dir das deine nicht lassen würde.«
    Gerswind sah an ihm vorbei. »Ich habe gehört, daß es bald wieder einen Feldzug gegen die Sachsen geben wird.«
    »Ja, übernächste Woche brechen wir auf.«
    »Mein Vater ist ein guter Christ geworden«, sagte Gerswind.
    »Dein Vater schon, aber was ist mit deiner Mutter?«
    »Was ist mit meiner Mutter?«
    Karl zuckte mit den Schultern. »Es geht das Gerücht um, daß sie an Widukinds Stelle die Spitze des neuen Aufstands anführt. Aber das vermag ich nicht recht zu glauben. Ich hatte die Ehre, Gerswind, deine Mutter kennenzulernen. Sie war nie wirklich eine Sächsin. Nicht im Herzen. Sie war eine Nordmannenprinzessin und stolz darauf.«
    Er hielt einen Augenblick inne. Erst wenige Tage zuvor hatte Alkuin entsetzt berichtet, daß Wikinger die Abtei Lindisfarne in Northumberland überfallen hatten und jetzt Klöster an der schottischen Küste bedrohten. Wehe, sie wagen es, meine Grenzen zu verletzen! Und sich gar mit den Sachsen zusammenzutun! dachte er. Schiffe, ich muß Schiffe bauen lassen. Diese Überlegung hatte er schon einmal gehabt, sie nach dem gescheiterten Bau der Fossa Carolina aber fallengelassen.
    Besorgt beobachtete Gerswind, daß sich des Königs Miene wieder verfinsterte. Doch nach kurzer Pause fuhr er in gleichbleibend freundlichem Ton fort: »Du siehst ihr sehr ähnlich, und darauf kannst du stolz sein.«
    Er ließ sich auf der Bank neben Gerswind nieder. Bedächtig nahm er den weißblonden Strang von ihrer Brust und legte ihn zu den übrigen Haaren, die ihren Rücken bedeckten.
    »Wie weich dein Haar ist«, murmelte er versonnen, sprang dann auf, rieb sich die Hände, als wollte er sie reinigen, und erklärte streng: »Selbstverständlich kannst du nicht als Näherin am Hof bleiben.«
    »Aber ich leiste doch sehr gute Arbeit«, wandte Gerswind ein. »Das sagt jeder. Dieses Gewand zum Beispiel …«
    »… ist sehr schön. Von der Art, wie es meine verstorbene Gemahlin schätzte. Dich sehe ich lieber in einem schlichten weißen Linnenkleid, das vorn geschlossen ist.«
    Erschrocken vergewisserte sich Gerswind, daß ihre Beine bedeckt waren, und fragte dann ratlos: »Wo soll ich denn jetzt hin?«
    »Nirgendwo. Du bleibst am Hof und nimmst wieder am Unterricht teil. Es wird viel aufzuholen geben.«
    »Und als wer soll ich hier leben?« fragte sie vorsichtig.
    »Als Gerswind, die Geisel, das kleine Sachsenmädchen. Du bist genau das, was du hier schon immer warst«, sagte der König gelöst.
    Gerswind starrte ihn mit offenem Mund an. Eine solche Wendung hatte sie nicht einmal zu träumen gewagt. Sie sprang auf und flog Karl in die Arme.
    »Danke, danke, danke!« jubelte sie. Jetzt würde alles gut werden.
    Nur einen Augenblick lang kostete Karl das angenehme Gefühl des schmalen Mädchenkörpers an seinem Leib aus. Dann schob er Gerswind sanft von sich und bemerkte: »Bekleide dich mit etwas Angemessenerem, und nimm dann an meiner Tafel wieder den Platz ein, der dir gebührt. Ich werde dem Hof darüber Mitteilung machen, daß dir die gleiche Achtung wie meinen Kindern entgegenzubringen ist.«
    Madelgard, die Tochter des Seneschalls, die in seinem Schlafgemach noch immer auf ihn wartete, hatte er völlig vergessen.
    Als Gerswind zwei Jahre später an diese Wiederbegegnung zurückdachte, staunte sie im nachhinein gleichzeitig über ihre Einfalt und ihre Gewitztheit. Heute würde sie weder mit einem gewagten Gewand, das sie älter erscheinen ließ, vor den König treten noch sich zutrauen, so tief in seine Seele blicken oder seine Reaktionen vorausahnen zu können, wie sie es als fast Dreizehnjährige vermeint hatte. Dabei kannte sie ihn inzwischen viel besser, wenn auch – und bei diesem Gedanken umspielte ein nachsichtiges Lächeln ihren Mund – noch lange nicht so gut, wie es der König gern gehabt hätte.
    Natürlich war auch ihr bekannt gewesen, daß er sich gern mit junger weiblicher Gesellschaft zurückzog, und sie hatte lange genug mit älteren Frauen, von denen einige einst Huren gewesen waren, in einer Tuchmacherei gearbeitet, um zu wissen, was dies bedeutete. Doch daß seine Gespielinnen meist nicht älter als sie selbst waren, hatte sie nie bedacht. Noch weniger war ihr der Gedanke gekommen, daß seine Begierde jemals ihr gelten könnte. Sie hatte in ihm einen gütigen, wenn auch strengen Vater gesehen, der mit ihr fast so

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