Die Beutefrau
Karl selbst sorgte dafür, daß ein Mönch streng bestraft wurde, der das Silber für eine Glocke einbehalten und statt dessen Zinn verwendet hatte.
Doch im September des darauffolgenden Jahres fanden die Geldsorgen des Königs für alle Zeiten ein Ende: Seinem Sohn Pippin und Erich von Friaul war es gemeinsam gelungen, mit einem großen Heer, List und Beharrlichkeit die Awaren endlich zu unterwerfen, zu den Ringburgen des Reitervolks durchzudringen und sich die legendären Schätze anzueignen.
An einem sonnigen Spätsommertag trafen in Aachen fünfzehn große Karren ein, die jeweils von vier Ochsen gezogen wurden. Es dauerte Wochen, ehe die ungeheuren Mengen von Schmuckstücken, Prunkwaffen und Kunstwerken, von Säcken voller Silber und Truhen voller byzantinischer Goldmünzen sortiert und katalogisiert worden waren.
Doch noch bevor die Karren überhaupt entladen werden konnten, sprang Karl auf den erstbesten Wagen, öffnete eine mit goldenen Ketten angefüllte Truhe und griff mit beiden Händen hinein. Er achtete nicht auf die gaffenden Umstehenden, hängte sich so viele Ketten um, wie er nur tragen konnte, und stürmte mit Geklimper in Liutgards Gemach.
»Geliebte Frau«, begann er atemlos, »darf ich meiner Sehnsucht nach dir mit Gold etwas mehr Gewicht verleihen?« Er neigte den Kopf. Rasselnd fielen die Ketten zu Boden.
»Dich an mich zu ketten wird nichts ändern«, erwiderte Liutgard lachend. »Schließlich habe ich dir eine Liebe versprochen, die dir sonst nirgendwo zuteil wird – eine unwandelbare körperlose Liebe aus ganzem Herzen. In allen Dingen – bis auf das eine, für das du mich nun wirklich nicht brauchst – werde ich dir eine vorbildliche Gemahlin bleiben.«
»Willst du mir dein Bett wahrlich für alle Zeiten verwehren?« fragte Karl ungläubig.
»Ich habe das Lager mit dir geteilt, als du mit einer anderen Frau verheiratet warst. Jetzt bin ich mit dir verheiratet, und du kannst dein Lager mit jeder anderen Frau teilen, die du begehrst.«
»Du weißt, daß ich dich begehre.«
»Es liegt in deiner Natur, mehr als nur eine Frau auf diese Weise zu begehren, Karl.« Sie strich ihm sanft über die Wange. »Dagegen kann und will ich nicht vorgehen, denn auch das gehört zu dem Mann, den ich liebe. Doch ließe ich mich so wie damals wieder in deine Arme fallen, würde mich die Eifersucht vernichten. Es wäre ein zu großer Schmerz, dich mit anderen zu teilen …«
»Ich bin der König, ich bin unteilbar, Liutgard«, unterbrach er sie ungehalten und setzte leise hinzu: »Du weißt, daß dir mein Herz gehört.«
Sie zog die Hand zurück, in die der König sein Gesicht geschmiegt hatte, und antwortete leise: »Du hast ein großes Herz, Karl, das von vielen bewohnt wird. Doch mein Herz ist zu klein. Es würde bersten, müßte es dein großes mit allem, was sich darin tummelt, aufnehmen. Meins habe ich dir anvertraut, weil ich weiß, daß du sorgsam mit ihm umgehen wirst, solange dich der körperliche Akt davon nicht ablenkt.«
6
Aachen
Im Jahr 797
»Möchtest du mir zuliebe diesmal mitkommen?«
Die Augen Karls des Jüngeren ruhten auf Gerswind, die sich aus dem Tischgespräch über die für den nächsten Tag geplante Jagd herausgehalten hatte. Im Gegensatz zu Karls Töchtern und seiner Gemahlin Liutgard hatte sie es bisher abgelehnt, an den Jagden in den weitläufigen Wäldern um Aachen teilzunehmen. Als Grund hatte sie stets ihre Angst vor Hunden angegeben. Außerdem sei sie nicht fähig, sich lange auf dem Rücken eines Pferdes zu halten. Beides entsprach der Wahrheit, doch Gerswinds Abneigung gegen die Jagd hing vor allem mit ihrer Liebe zum Wald zusammen. Es widerstrebte ihr, einer Gruppe anzugehören, die mit Hunden lärmend in den Forst hineinpreschte, nichts von seinen Geheimnissen wahrnahm, nur, den Tieren hinterherhetzend, einfach alles niedertrampelte, was sich auf ihrem Weg befand. Aber solches konnte sie an des Königs Hof natürlich nicht äußern, ohne lautes Gelächter hervorzurufen. Oder, was viel schlimmer wäre, Argwohn, daß sie im Wald womöglich ein heidnisches Heiligtum sah. Was in gewisser Hinsicht natürlich stimmte. Denn auch im Forst nahe dem Palatium hatte Gerswind schon bald nach dem Einzug in die neue Pfalz einen glatten weißen Felsen entdeckt, der ihr als Stätte der Macht diente. Hruodhaid, die ihr einmal hinterhergeschlichen war, hatte sie beschieden, daß sie hier Ruhe und Besinnung fand, doch sie achtete seitdem sorgfältig darauf, daß ihr kein
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