Die Bibel
zu den vornehmsten Königspflichten, schon im Ägypten des zweiten Jahrtausends vor Christus. Und das Volk der Juden erkennt die Mechanismen der Macht mit scharfem Blick – in der Bibel werden sie bloßgelegt. Im Protest gegen die auf Gewalt beruhende Macht wird Israel zum Volk.
Der Protest beginnt mit der Weigerung der Hebammen, die neugeborenen Kinder der Hebräerinnen zu töten. Vor dem Pharao reden sie sich damit heraus, dass die hebräischen Frauen vitaler seien als die ägyptischen. Ehe die Hebammen zu den Hebräerinnen kommen, hätten sie schon geboren, erzählen sie dem Pharao.
Solch passiver Widerstand mag in Demokratien funktionieren, in totalitären Systemen fruchtet er nicht. Der Pharao befiehlt nun, alle neugeborenen Söhne der Hebräer in den Nil zu werfen. So macht man das, wenn man zum Herrschen geboren ist.
Meistens herrscht dann Ruhe. Damals aber ruft der Pharao mit seiner Entscheidung einen Gegner auf den Plan, mit dem er nicht rechnen konnte: Gott. Leider ist Gott meistens ohnmächtig. Er kann ja nur durch Menschen handeln, und so lange die sich die Tyrannei gefallen lassen, kann Gott nichts ausrichten. Sobald er aber einen Einzigen findet, der rebelliert, eilt Gott freudig herbei, um mit großem Eifer zu helfen. Wie es dabei zugeht, was genau passiert, wissen wir nicht, das bleibt Gottes Berufsgeheimnis. So lässt sich nur sagen: Hat er auch nur einen einzigen Freiwilligen, macht Gott sich voller Tatendrang ans Werk.
Damals, vor 3300 Jahren in Ägypten, hat das zum ersten Mal funktioniert. Niemand hat etwas davon geahnt, denn zunächstgeht scheinbar alles seinen normalen Gang, wie seit Jahrtausenden schon. Des Königs Anordnungen wird Folge geleistet. Die Hebräerinnen gebären, und wenn es ein Sohn ist, wird er tatsächlich in den Nil geworfen.
Klein, unscheinbar, mit der schwächsten Kraft, die man sich denken kann, setzt Gott seinen Widerstand ins Werk. Eine der vielen Frauen, die gebären, macht nicht mit. Als sie sieht, dass ihr Sohn «ein feines Kind» ist, verbirgt sie es drei Monate, und als das zu gefährlich wird, macht sie ein Kästlein aus Schilfrohr, verklebt es mit Erdharz und Pech, legt das Baby ins Kästchen und setzt es ins Schilf am Ufer des Nil, ganz vorsichtig, damit es nicht sofort abgetrieben wird. In einigem Abstand postiert sie die ältere Schwester des Knaben, damit sie beobachtet, was passiert.
Und es kommt die Tochter des Pharaos mit ihren Jungfrauen, um zu baden, sieht das Kästlein und das darinnen liegende Kind, das weint, erbarmt sich und erkennt sofort:
Es ist der hebräischen Kindlein eins
. Die Pharaonentochter ist entzückt.
Geistesgegenwärtig eilt die beobachtende Schwester des Neugeborenen hinzu und fragt listig: «Soll ich eine hebräische Amme rufen, damit sie dir das Kindlein stillt?» – «Ja, geh», sagt die Pharaonentochter. Und die Schwester holt ihre Mutter, die das Knäblein mit nach Hause nimmt und stillt und sich kümmert, bis es groß ist. Dann bringt sie es der Tochter des Pharaos, die ihm den Namen Mose gibt und dafür sorgt, dass er eine vorzügliche Bildung und Erziehung bekommt.
So wurde der Mann gerettet, der später Israel retten und eine neue Religion stiften wird.
Wieder stellt sich die Frage: Warum gerade er? Vielleicht, weil er am Königshof die Ausbildung und das Herrschaftswissen erwirbt, das zur Erfüllung seiner späteren Aufgabe nötig ist. So einer weiß, wie die Machthaber ticken. Vielleicht auch, weil er über eine Eigenschaft verfügt, die später für sein Volk wichtig wird:Sinn für Gerechtigkeit. Er, der Starke, rebelliert gegen das Recht der Stärkeren.
Er sieht, wie Frauen an einem Brunnen ihre Herden tränken wollen, dabei von Hirten durch bloße körperliche Überlegenheit einfach verdrängt werden, und kommt den Frauen zu Hilfe, tränkt eigenhändig ihr Vieh. Er wird Zeuge eines Streits zwischen zwei Israeliten. Dem Schwächeren geschieht Unrecht, und er droht im Streit zu unterliegen. Da mischt sich Mose ein und verhilft dem Schwächeren zu seinem Recht. Es wird Mose nicht gedankt.
Gewalt gegen Schwächere kann Mose so in Rage bringen, dass er auch die Gegengewalt nicht scheut. Als er sieht, wie ein Ägypter auf einen Hebräer eindrischt, eilt er hinzu, erschlägt zornentbrannt den Ägypter und muss fliehen. Geholfen hat er seinem Volk damit nicht. Gewalt ist keine Lösung, lernt er daraus.
Aber er hatte zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Begegnung mit Gott. Zu dieser Begegnung kommt es, als die
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