Die Bibel
und Beamtengräber für die Ewigkeit sind zu errichten. Stelen, Skulpturen, Paläste zur Verherrlichung und Verewigung des Ruhms der Pharaonen werden in Stein gehauen.
Am Hof der Pharaonen strömt die ganze Welt zusammen. Man zollt dem König Tribut, beteuert seine Ergebenheit, wirbt um die königliche Gunst, bewundert die ägyptische Technik und Wissenschaft. Die Ägypter schreiben nicht mehr auf Tontäfelchen wie in Sumer und Babylon, sondern auf Papyrus, beherrschen Mathematik und Astronomie, haben einen präzisen Kalender und verfügen über metallurgische, chemische, medizinische und anatomische Kenntnisse.
Die Masse des Volkes besteht aus Analphabeten. Aber die Oberschicht ist hoch gebildet. Die ägyptischen Priester und Beamten werden in Literatur, Religion und Ethik unterwiesen. Sie kennen und beherrschen die ganze Bandbreite schriftlicher Kultur: Gleichnisse, Metaphern, Alliterationen und Wortspiele, Hymnen an die Götter, mythologische und magische Texte, Erzählungen, didaktische Schriften wie Weisheits- und Schulliteratur, Gedichte, biographische und historische Texte, wissenschaftliche Abhandlungen, Gesetzes-, Verwaltungs- und Handelstexte. Und natürlich auch schon Propaganda, Hofberichterstattung und politische Lügen.Nur die Kritik daran gibt es noch nicht, wird es nie geben in Ägypten.
Der Pharao auf seinem Thron erblickt, wenn er auf sein Reich schaut, gewaltige Totentempel, volle Kornspeicher und Lagerhäuser, große Viehherden, Heerscharen von Priestern, Beamten, Soldaten, Bauern, Fronarbeitern, Sklaven und eine schier endlose Kette von Ahnen, die er über Dutzende von Dynastien und durch Jahrtausende bis weit in eine mythische Vergangenheit benennen kann.
Er thront inmitten kolossaler Bauten, genießt seine imperiale Größe, den Glanz und die Glorie seiner Würde und Macht und glaubt mit der Unerschütterlichkeit seiner Megatonnen schweren Gräber, dass dies so sein und auf ewig so bleiben müsse.
Wohl sieht er, dass an seinen Grenzen feindliche Heere und Völker aufeinander einschlagen. Aber das bereitet ihm keine schlaflosen Nächte. Das war schon immer so. Und immer schon ist es seinen Vorgängern gelungen, diese fremden Völker und Heere entweder zu unterwerfen oder wenigstens von den eigenen Grenzen fern zu halten. Also wird es auch ihm gelingen.
Er kann nicht ahnen, dass auch sein Weltreich, wie alle Weltreiche davor und danach, dem Untergang geweiht ist. Er kann sich nicht vorstellen, dass die Griechen, mit denen man Handel treibt, zu einer Gefahr für Ägypten heranwachsen könnten. Er weiß noch nichts von den Römern, nichts von den barbarischen Germanen, die sich nördlich der Alpen in den Wäldern herumtreiben und selber noch nicht wissen, dass sie einst ein anderes Weltreich liquidieren werden.
Und schon gar nicht vermag er zu erkennen, dass mitten in seinem Imperium ein revolutionäres Volk heranwächst, das Ägypten und alle späteren Imperien überdauert und mit seiner radikal neuen Sicht der Wirklichkeit die ganze Welt bis zum heutigen Tage verändern wird. Der Pharao weiß nur: Der Kult, das Bauen, die Verewigung durch Versteinerung darf nicht aufhören, mussimmer weitergehen. Nur so, glaubt er, glauben alle, kann das Reich von Dauer sein.
So wie der nie versiegende Strom des Nil das materielle Fundament Ägyptens bildet, so lebenswichtig ist auch der Strom derer, die auf den königlichen Baustellen die ägyptische Staatsidee in Stein meißeln. Darum darf auch dieser Strom nie versiegen.
Irgendwann in der mehrtausendjährigen Geschichte Ägyptens ist daher ein Pharao oder einer seiner Beamten auf die Idee gekommen, während der Nilüberschwemmungen zwischen Mitte Juli und Mitte November die Bauern in den Dienst des königlichen Totenkults zu stellen. Während dieser Zeit müssen die Bauern auf ihren Feldern untätig bleiben, also können sie Pyramiden bauen.
Fast das gesamte einfache Volk wird auf diese Weise zwangsverpflichtet, muss immer zur Regenzeit seine Dienste leisten. Reine Sklavenarbeit ist diese Fron nicht, denn die Arbeiter werden bezahlt. Strenge Aufseher sorgen für maximale Ausbeutung der Arbeitskraft, achten aber auf eine gute Ernährung ihrer Männer. Den königlichen Schriftführern und Chronisten sind sie allerdings keine Zeile wert. Der Einzelne in dieser Masse ist für die gebildete Oberschicht nichts weiter als Arbeitstier und Zugvieh.
Das «Zugvieh» aber begehrt nicht auf, verbindet sein Schicksal mit dem seines Herrn, denn beide leben vom Nil
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