Die Bibel Verstehen
machte in dieser Gemeinde seine erste unliebsame Erfahrung mit der römischen Staatsgewalt. Jetzt sitzt er in Ephesus im Gefängnis und schreibt den Philippern, einmal um über sich und seinen inneren Zustand zu informieren, zum andern, um gegen Irrlehrer vorzugehen, die sich auch in Philippi eingeschlichen haben. Der Brief ist wohl um das Jahr 56 geschrieben.
Paulus spricht in diesem Brief sehr persönlich von sich. Er schreibt, wie er um des Evangeliums willen ins Gefängnis geworfen wurde. Da die Statthalter große Vollmacht hatten, war nicht klar, ob Paulus auf Rettung hoffen konnte oder ob er mit dem gewaltsamen Tod rechnen musste.
In dieser Ungewissheit schreibt der Apostel von dem, was ihn trägt. Er fühlt sich selbst in dieser äußersten Gefahr innerlich frei und ruhig. «Denn für mich ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn (Phil 1,21).
Welche Erfahrung steckt hinter so einem wuchtigen Satz? Offensichtlich hat Paulus Christus als solch zentrale Wende in seinem Leben erfahren, dass ihm durch ihn ein neues Leben geschenkt wurde. Leben heißt nun für ihn: Christus. In der Gemeinschaft mit Christus erfährt er wahres Leben. Ob er nun leben oder sterben soll, ist ihm gleichgültig. Davon hängt sein innerer Friede nicht ab. Ja, er sehnt sich sogar nach dem Tod. Denn da weiß er, dass er bei Christus sein wird. Aber er ist auch bereit, für Christus so lange zu arbeiten, wie Er es will.
Im zweiten Kapitel zitiert Paulus einen Christushymnus (Phil 2,6–11). Paulus hat den Hymnus sicher vorgefunden. Vielleicht wurde das Lied in der Liturgie gesungen. Paulus stellt das Lied als Beispiel für uns dar. «Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus entspricht» (Phil 2,5). In diesem berühmt gewordenen Hymnus ist die ganze christliche Theologie zusammengefasst. Christus existiert schon vor aller Schöpfung bei Gott und in Gott. Doch er entäußert sich für uns und nimmt Sklavengestalt an. Er stirbt für uns. Aber er wird von Gott erhöht. Es wird ihm ein Name gegeben, der über allen Namen ist. Jesus wird mit göttlicher Herrlichkeit und Macht bekleidet und in die Herrschaft über alle Welt eingesetzt.
Im dritten Kapitel beschreibt Paulus nochmals seinen spirituellen Weg. Nach der Wende, die er durch die Begegnung mit Christus erfahren hat, istihm nun der alte Weg, sich durch Leistung selbst gerecht zu machen, zum Unrat geworden. Ihm liegt nicht mehr an dem, was er nach außen hin repräsentiert. Ihm geht es nur noch darum, in Christus zu sein. Er lässt seine Vergangenheit mit ihren bedrückenden Lebensmustern los, um sich auszustrecken nach Jesus Christus, damit Christus ihn ergreife und verwandle. Diese Verwandlung wird erst im Tod ihren Abschluss finden. Dort wird Christus unseren armseligen Leib «umwandeln, dass er dem Leib seiner Herrlichkeit gleichgestaltet ist, in der Kraft, mit der er sich alles zu unterwerfen vermag» (Phil 3,21).
Paulus wendet sich gegen alle Irrlehrer, die diese christliche Botschaft verfälschen. Für ihn ist diese Botschaft so befreiend, dass er mit aller Schärfe gegen Verfälschungen kämpft. Es geht ihm nicht um Rechthaberei, sondern darum, dass das Wesen des christlichen Glaubens deutlich bleibt: die Befreiung von allem Leistungsdruck, sich selbst gerecht machen zu müssen.
Im Philipperbrief ruft uns Paulus zur Freude auf. Der Grund unserer Freude ist die Nähe Jesu Christi. Aber der Glaube an Jesus Christus, der in uns ist, soll uns auch herausfordern, all die Bilder des Menschen, die die griechische Philosophie entworfen hat, zu verwirklichen. Der Christ soll auch der wahre Mensch sein. Daher fordert Paulus uns mit Worten der stoischen Philosophie auf: «Alles, was wahr ist, was würdig, was gerecht, was rein, wasliebenswürdig, was dem guten Ruf dient, was es überhaupt an Tugend und Lobenswertem gibt, darauf richtet euren Sinn» (Phil 4,8). Die Erfahrung des Christlichen führt immer auch zur Entfaltung des Humanum. In diesem Sinn können wir den Philipperbrief lesen als Einführung in die Erfahrung Jesu Christi, der uns zu wahrer Freiheit führt, aber zugleich uns auch antreibt, das Bild des edlen Menschen zu verwirklichen.
C
hristus Jesus war wie Gott, erachtete das Gottgleichsein aber nicht als Beutestück;
sondern er entäußerte sich selbst, wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich, in seiner äußeren Erscheinung lebte er als ein Mensch,
erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
Darum
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