Die Bibel Verstehen
Tradition das griechische Ideal der Philanthropie übersetzt – die humanitas Gottes, die wahre Menschlichkeit (Tit 3,4f). In Christus ist das Bild des Menschen sichtbar geworden, wie Gott ihn ursprünglich erschaffen hat. Das Erscheinen des wahren Menschenbildes in Jesus Christus hat uns gerettet, heil und ganz gemacht. Wir sind neu geworden durch das Bad der Wiedergeburt. Deshalb können wir als neue Menschen leben. An Weihnachten wird uns dieses wunderbare Wort verkündet.
Für den katholischen Philosophen Peter Wust war das die tröstliche Botschaft, die er kurz vor seinem Sterben seinen Freunden als Vermächtnis hinterließ. Der Entstellung des Menschen durch das Naziregime setzt er die wahre Menschlichkeit entgegen, die uns in Jesus Christus aufgeleuchtet ist. Christus, das wahre Bild des Menschen, lässt sich von keinem Terrorsystem totschlagen. Er ist aufgestrahlt. Sein Bild wird durch alle Verfälschungen hindurch immer wieder neu aufleuchten und den Menschen, der sich verloren hat, retten. Sie wird den Menschen, der in sich zerrissen ist, heilen und wieder so herstellen, wie er ursprünglich gedacht war.
39
PAULUS SCHREIBT AN PHILEMON
Der Sklave Onesimus war seinem Herrn Philemon entlaufen. Paulus gewann Onesimus für den christlichen Glauben. Nun schickt er ihn zurück zu seinem Herrn. Er gibt ihm ein Begleitschreiben mit.
Vermutlich hat Paulus diesen Brief im Jahre 55 geschrieben. Er ist ein sehr persönliches Zeugnis für die Menschlichkeit des Paulus. Er fordert Philemon auf, seinem entlaufenen Sklaven zu vergeben und ihn als geliebten Bruder aufzunehmen.
Für die Christen gibt es keinen Unterschied zwischen Herren und Sklaven. Alle sind in Christus eins. Die Erfahrung der Einheit in Christus ist ein Samenkorn, das in die antike Gesellschaftsstruktur eingesät wird und allmählich das Sklaventum abschafft. Jeder Mensch ist vor Gott frei.
V
ielleicht ist Onesimus nämlich nur deshalb eine Zeit lang von dir getrennt worden, damit du ihn für die Ewigkeit zurückbehältst, nicht mehr als Sklaven, sondern mehr als einen Sklaven, nämlich als lieben Bruder, was er vor allem für mich ist, um wie viel mehr aber noch für dich, als Mensch wie auch vor dem Herrn. Betrachtest du mich also als deinen Genossen, so nimm ihn auf wie mich selbst!
PHILEMON 15–17
40
SCHREIBEN AN DIE HEBRÄER
Der Hebräerbrief ist kein eigentlicher Brief, sondern eine Mahnrede, eine zugesandte Predigt. Er ist von einem griechisch gebildeten Judenchristen geschrieben. Der Autor schreibt das anspruchsvollste Griechisch des gesamten Neuen Testamentes. Er entfaltet eine neue Theologie, um in ihrem Glauben müde gewordene Christen aufzurichten und zu neuem Eifer anzustacheln.
Die Situation am Ende des ersten Jahrhunderts gleicht der Glaubenssituation unserer Zeit. Die Christen waren müde geworden, weil sie nichts sahen von dem Heil, das Jesus Christus gewirkt haben soll. Die Welt mit ihren bedrängenden Problemen lässt nichts erkennen von der Herrschaft Jesu Christi. So ist die Hoffnung der Christen auf Heil und Erlösung verblasst. Ein neuer theologischer Ansatz soll die Christen trösten und ihnen die Augen öffnen für das Heil, an dem sie schon teilhaben. Christus ist der Vorläufer und Vollender ihres Glaubens. Er ist einer, der mit ihnen fühlt (Hebr 5,1–10). Er ist ihnen vorangegangen in das Allerheiligste, in den heiligen Bereich Gottes. In Christus sind die Christen jetzt schon eingetreten in das Allerheiligste. Sie haben einen Anker hineingeworfen in das heilige Zelt, das jenseits dieser Welt ist. Sie reichen hier indieser Welt schon hinein in die jenseitige Welt. Darin sind sie der Macht dieser Welt entrissen. Sie übersteigen in Christus diese Welt. Sie sind frei mitten in den Bedrängnissen dieser Welt.
Der Verfasser des Hebräerbriefes meint, die Glaubensprobleme der Adressaten rührten daher, dass sie bei ihrem Glauben in den Kinderschuhen stecken geblieben sind. Sie haben sich nicht weitergebildet. Sie haben ihren Glauben nicht aufgrund der gesellschaftlichen Situation neu reflektiert. So möchte der Autor den Glauben neu bedenken, damit die Christen auf dem Weg ihrer Pilgerschaft auf Christus schauen, «den Urheber und Vollender unseres Glaubens» (Hebr 12,2). Wenn sie mit neuen Augen auf Christus sehen, werden sie «nicht ermatten und den Mut nicht verlieren» (Hebr 12,3).
Der Autor entwickelt seine neue Theologie, indem er die Schriften des Alten Testamentes neu auslegt. Zugleich
Weitere Kostenlose Bücher