Die Bibel
brennen.
Im Juni 1940 vollzieht Bonhoeffer den letzten Schritt, entschließt sich zum aktiven Widerstand. Für ihn eine Konsequenz seines Denkens. Schon 1933 hatte er erklärt: «Wenn die Kirche denStaat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.» Dass dies möglicherweise «Märtyrerblut» kosten kann, hatte er schon 1932 ausgesprochen. Er stand damals mit seinen Ansichten ziemlich allein in Deutschland, auch in seiner Kirche, und blieb es bis zuletzt.
Dann verliebte er sich. Jeder normale Mensch hätte sich jetzt vielleicht gesagt: Pfeif auf Hitler, pfeif auf den Widerstand, ich muss jetzt an unsere gemeinsame Zukunft denken. Er hätte aussteigen, sich aus der Gefahr begeben können. Aber Bonhoeffer war eben kein normaler Mensch, sondern etwas ganz anderes, ein Glaubender, einer wie Abraham.
Im Dezember 1943 schreibt er an seinen Freund Eberhard Bethge über seine Beziehung zu Maria: «Nun sind wir fast ein Jahr verlobt und haben uns noch nie eine Stunde allein gesehen. Ist das nicht Wahnsinn?»
Und Maria? Auch sie war auf ihre Art eine Glaubende. Nie hat sie ihn gebeten, um ihrer gemeinsamen Zukunft willen von seinem gefährlichen Tun abzulassen. Sie hat gebangt, gezittert um ihn, aber alles mitgetragen, sich nie beklagt, nie daran gezweifelt, dass er tun muss, was er tut. Beide stimmten darin überein, dass es etwas gibt, das ihre Liebe übersteigt. An Weihnachten 1944 schreibt sie: «Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Sinne entwickelt, die wir im täglichen Leben kaum kennen. Deshalb habe ich mich keinen Moment einsam oder verlassen gefühlt. … Du musst nicht glauben, dass ich unglücklich wäre. Was ist Glück, was Unglück? Es hängt so wenig von den Umständen ab. … Ich bin für jeden Tag dankbar, den ich Dich habe, und das macht mich glücklich.»
Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg gehängt. Deutschlands Kapitulation kam für Bonhoeffer einen Monat zu spät. Seine Verlobte blieb wochenlang im Ungewissen. Erst im Juni 1945 erfuhr sie von seinem Ende.
Der Kreis der Widerständler gegen Hitler umfasste etliche tausend Personen, eher Zehntausende. Viele einfache Menschen, die wegen ihrer Opposition umgebracht wurden, sind namenlos geblieben. Nicht alle waren Christen. Kommunisten waren darunter, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Liberale und Nationalkonservative. Aber sie alle einte die Überzeugung, dass es so etwas wie ein göttliches oder moralisches Gesetz gibt, das unbedingt gelten muss, und koste es das Leben.
Die Frauen der meisten Verschwörer des 20. Juli waren eingeweiht, trugen den Widerstand ihrer Ehemänner mit, nahmen die Gefahr für sich und ihre Familien in Kauf. Sie verhielten sich wie Isaak, der sich nicht wehrte, nicht schrie.
Abraham hat damals auf dem Berg in Morija seinen Glauben an Isaak weitergegeben. Isaak hat den Glauben seines Vaters gesehen und ihn für sich übernommen. Beide hatten dort, auf diesem Berg, erkannt, dass es etwas gemeinsames Drittes gibt, das stärker ist als die engsten Familienbande.
Auch die Männer und Frauen des Widerstands gegen Hitler hatten diese Überzeugung. Dafür riskierten sie ihr Leben. Deutschland, mit seiner Geschichte, steht unter den Völkern dieser Welt recht armselig da. Wie arm aber wären wir, wenn es nicht einige tausend Deutsche gegeben hätte, die bereit waren, sich selbst und das Liebste, was sie auf Erden hatten, zu opfern.
Glücklich das Land, das keine Helden braucht, dichtete Brecht. Und ebendas ist die eigentliche Pointe der Geschichte von Isaaks Beinahe-Opferung. Wenn die Menschen bereit sind, sich ganz unter Gottes Willen zu begeben, wie Abraham und Isaak, dann bedarf es keiner Helden und Opfer. Nicht aufs Opfer kommt es an, sondern auf die Unterordnung unter Gottes Willen. Weil Abraham grundsätzlich dazu bereit war, blieb es ihm erspart, das Opfer tatsächlich bringen zu müssen.
Jakob, der Lügner
Glaube an Gott – was heißt das eigentlich? Vor zweieinhalb bis dreitausend Jahren haben Israels Theologen diese Frage exemplarisch beantwortet mit den Geschichten von Abraham, einem Nomaden, der vor viertausend Jahren gelebt haben soll. Moderne Menschen tun sich schwer damit, erkennen die Antwort eher am Beispiel von Persönlichkeiten wie Dietrich Bonhoeffer.
Beide zeigen, was Glaube heißt: kein Festhalten an behaupteten
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