Die Bibel
bringen bereit sind, lösen das Rätsel der Isaaksgeschichte nicht, holen uns aber von jenem Ross, auf dem wir Aufgeklärte zu sitzen meinen. Es scheint allemal vernünftiger, dem «archaischen» Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs Tribut zu zollen, als den modernen Götzen des Wettbewerbs.
Doch muss man bedenken, dass es sich bei der Isaaksgeschichte nicht um eine wirkliche Begebenheit handelt. Es ist eine erdachte Geschichte, die uns vor Augen führt, was Glaube an Gott heißt, welche Konsequenzen er hat und in welche Einsamkeit der Glaubende in Grenzsituationen geraten kann. Die Geschichte ist ein Bild, und darum ist sie so stumm, darum wird kaum geredet, nicht psychologisiert, sondern nur gehandelt. Die Geschichte istein Bild für den erschreckend radikalen Unbedingtheitsanspruch Gottes an den Menschen.
Gott will von den Angehörigen seines Volkes keine Abgaben, sondern er verlangt alles, nicht deren Freizeit, sondern deren ganze Zeit, nicht den religiösen Teil ihrer Persönlichkeit, sondern den ganzen Menschen. Schärfer noch: Er fordert, dass der Mensch darauf verzichtet, sein Schicksal selbst zu bestimmen.
Nur dann, wenn genügend Freiwillige bereit sind, sich auf diese ungeheure Forderung einzulassen, kann Gottes Plan gelingen. Weil diese Forderung so groß ist und die menschliche Bereitschaft, ihr zu entsprechen, so klein, darum harrt Gottes Plan bis heute seiner Erfüllung. Der Mensch glaubt nicht, dass er das Leben gewinnt, wenn er’s drangibt. Daran scheitert Gottes Utopie.
Dass Gott so radikal fordernd Anspruch auf unsere ganze Existenz erhebt, empört uns. Umso mehr, wenn wir daran denken, wie viele Menschen mit Verweis auf die Bibel im Laufe der Jahrtausende geopfert wurden. Aber die Empörung hilft uns nicht, diese Geschichte zu verstehen. Wir müssen endlich nach dem Unterschied fragen zwischen Kadavergehorsam und Gehorsam gegen Gott. Die folgende Geschichte wird diesen Unterschied zeigen.
Maria, eine zwanzigjährige Frau des 20. Jahrhunderts, hat sich gerade frisch verliebt in einen Mann, der achtzehn Jahre älter ist als sie. Sie schreibt ihm Briefe, zunächst aber nur in ihr Tagebuch, im Februar 1943 beispielsweise: «Wenn Du mich hier so sehen würdest. Ich glaube, Du würdest mich manchmal gar nicht mögen. – Wenn ich so wild reite und mich mit Stallknechten auf Platt unterhalte. – … Wenn ich Grammophon spiele, dazu auf einem Bein durch die Stube hüpfe und auf das andere einen Strumpf mit einem riesengroßen Loch ziehe … Ich mache noch viel schlimmere Sachen. Ich rauche eine Zigarre, weil ich solch ein Ding noch nie geraucht habe und doch wissen muß, wie das ist …» Ein Jahr später, im Mai 1944 schreibt sie ihm, nun nicht mehr ins Tagebuch, nachdem sie bei herrlichem Frühlingswetter im Garten gearbeitethat: «Und vor allem freue ich mich drauf, das einmal in einem eigenen Gärtchen tun zu dürfen. Hilfst Du mir dann? Stellst Du Dir das nicht wahnsinnig lustig vor, wenn wir beide zusammen unseren Garten hübsch machen. In die Mitte kommt ein großer Rasenplatz, auf dem im Frühjahr Krokusse und dann Schlüsselblumen und Vergißmeinnicht wachsen. … In unserm Garten steht ein weißer Tisch mit Bank und Stühlen und im Sommer frühstücken wir draußen. Einen Hund haben wir vielleicht auch. – Es wird traumhaft schön werden!»
Der Traum wird sich nie erfüllen.
Der Mann, dem diese Briefe gelten, sitzt im Gefängnis. Dietrich Bonhoeffer heißt er, Pfarrer ist er und gehört zu den wenigen in Deutschland und in der evangelischen Kirche, die Hitler von Anfang an durchschauen und darum konsequent und kompromisslos bekämpfen.
An Bonhoeffer und seinen Gegnern lässt sich exemplarisch zeigen, worin der Unterschied besteht zwischen Kadavergehorsam und Abrahams Gehorsam gegen Gott, dem aufmerksamen Horchen, Hören und Wahrnehmen und der Bereitschaft, dem Gehörten auch dann zu folgen, wenn die eigenen Interessen, ja, das eigene Leben, bedroht sind.
Bonhoeffer sieht mit Entsetzen, wie sich seine evangelische Kirche Hitler in vorauseilendem Gehorsam vor die Füße wirft. Er erlebt, dass die Juden von großen Teilen der evangelischen Kirche nicht etwa vor Hitler geschützt, sondern gemeinsam mit Hitler verfolgt werden. Seine Kirche lässt sich gleichschalten, übernimmt die Arierparagraphen, verjagt die zum Christentum konvertierten Juden aus ihren eigenen Reihen und beklatscht die von den Nazis so genannte Reichskristallnacht, bei der im ganzen Land die Synagogen
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