Die Bibliothek der Schatten Roman
ihn wenige Stunden zuvor angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie ihm gerne etwas zeigen würden. Er klang weder überrascht noch neugierig und schlug vor, sich gleich nachmittags zu treffen. Iversen und Katherina bestanden darauf mitzukommen, aus unterschiedlichen Gründen, wie Jon annahm. Iversen meinte, die Tatsache, dass Kortmann im Vorstand von einer von Remers Gesellschaften saß, bedeute nicht gleich, dass er ein Mitglied der Schattenorganisation war. Im Gegenteil war es durchaus denkbar, dass er ohne sein Wissen ausgenutzt wurde. Katherina war anderer Meinung. Sie strich heraus, dass Kortmann die ganze Zeit über zu verhindern versucht hatte, dass die beiden Flügel der Bibliophilen Gesellschaft wieder zusammenkamen, und dass er vor 20 Jahren
der Hauptverantwortliche für die Spaltung gewesen war. Wer könnte sich besser als Maulwurf eignen als er?
Jon versuchte, eine neutrale Haltung einzunehmen. Remers Unternehmensstrukturen waren so umfassend und komplex, dass es sich ohne Weiteres um einen Zufall handeln konnte, trotzdem wurde er den Gedanken nicht los, dass Kortmann Remers geheimnisvoller Buchhandelsfreund sein könnte. Buchhändler war Kortmann zwar nicht, aber er kannte Luca, Jon und das Antiquariat gut genug, um Remers Kenntnisse und Interesse zu erklären.
»Willkommen«, begrüßte Kortmann sie freundlich, als Katherina, Iversen und Jon aus dem Auto stiegen. Jon hatte einen Umschlag mit den Unterlagen der Gesellschaft dabei, an der Remer und Kortmann ein gemeinsames Interesse hatten.
Sie gaben ihm nacheinander die Hand, woraufhin er vor ihnen den Gartenweg entlangrollte, der hinter das Haus führte.
»Ich dachte mir, wir setzen uns raus und genießen das Wetter«, sagte Kortmann.
Er führte sie zu einer großen Terrasse im tiefer gelegenen Teil des Gartens. Die hohe Mauer, die das Grundstück einfasste, und die hohen, alten Bäume gaben einem das Gefühl, komplett von der Außenwelt isoliert zu sein.
Ein schwarz gekleideter Mann war gerade dabei, Erfrischungen und Gläser von einem Silbertablett auf einen Gartentisch zu stellen, um den Mahagonistühle standen. Der Mann, den Jon als Kortmanns Chauffeur wiedererkannte, nickte ihnen gemessen zu und ging zurück ins Haus.
»Setzen Sie sich«, lud Kortmann sie mit ausgebreiteten Armen ein. »Und lassen Sie hören, was Sie herausgefunden haben.«
Sie folgten seiner Aufforderung, und Jon zog die Unterlagen aus dem Umschlag. Kortmann reagierte nicht.
»Wir haben Informationen über die Person gesammelt, die wir für einen der Drahtzieher der Schattenorganisation halten«,
verkündete Jon und schob das Blatt mit Kortmanns Namen in die Mitte des Tisches. Der Name war gelb markiert.
Kortmann sah erst Katherina an, dann Jon.
»Was soll das sein?«, fragte er, ohne dem Blatt Aufmerksamkeit zu schenken.
»Das ist eine Liste der Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat der Wohnungsbaugesellschaft Habitat«, erklärte Jon. »Ihr Name steht auch auf der Liste.«
»Ich sitze in vielen Aufsichtsräten«, sagte Kortmann müde. »Was ist so besonders an Habitat?«
»Die Aktienmehrheit liegt bei Remer, von dem wir ernsthaft annehmen, dass er Mitglied der Schattenorganisation ist.«
»Remer?«, wiederholte Kortmann und wandte einen Moment den Blick ab. Dann lachte er herzlich. »Remer soll Mitglied Ihrer Schattenorganisation sein? Jetzt machen Sie aber mal halblang. Remer mag ja sehr kreativ bei der Auslegung der Gesetze sein, aber dass er hinter einem geheimen Komplott stehen soll…« Er lachte wieder.
»Wir sagen nicht, dass er der Anführer ist«, sagte Katherina. »Nur, dass er Mitglied ist.«
Kortmann sah Katherina an, und sein Lächeln löste sich auf. Dann wandte er sich an Jon.
»Ich muss gestehen, Campelli, ich habe mehr von Ihnen erwartet. Zuerst die abwegige Theorie dieses Eigenbrötlers über die Schattenorganisation, deren Existenz unmöglich zu beweisen ist, und nun auch noch die Behauptung, ausgerechnet Remer solle an dieser Verschwörung beteiligt sein.«
Jon fühlte Wut in sich aufsteigen. Mit größter Anstrengung hielt er seine Stimme einigermaßen neutral und unterrichtete Kortmann von seinen Begegnungen mit Remer, dessen Interesse am Libri di Luca und schließlich seiner fristlosen Entlassung.
»Das klingt schon eher nach Remer«, sagte Kortmann, als Jon am Ende seiner Ausführungen angelangt war. »Man mag
ihn hart, berechnend und opportunistisch nennen, aber er ist ganz sicher kein Sektenführer.«
Katherina rutschte unruhig auf ihrem
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