Die Bibliothek der Schatten Roman
könnten. Ich kann Ihnen eine andere Arbeit besorgen. Die Gesellschaft ist Ihr Leben, wieso wollen Sie das für eine Lüge wegwerfen?«
Iversen sah Jon und Katherina an, bevor er sich wieder Kortmann zuwandte.
»Ich tue das weder für mich, Sie oder die Gesellschaft«, erklärte er energisch. »Ich tue das für Luca.«
Er drehte sich um und stapfte zielstrebig in Richtung Einfahrt. Jon und Katherina folgten ihm.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jon, als sie Hellerup verließen.
Iversen saß stumm auf der Rückbank und starrte aus dem Seitenfenster. Er schüttelte den Kopf und lächelte Jon an.
»Mir geht’s gut«, antwortete er. »Ich bin nur ziemlich enttäuscht, das ist alles.« Er richtete den Blick auf die Häuser, die draußen vorüberglitten. »Wir müssen die anderen informieren«, fuhr er fort. »Ehe Kortmann es tut. Wir müssen wissen, wer auf unserer Seite ist.«
Jon nickte. Sie hatten keine Ahnung, wie groß die Schattenorganisation war, aber zu dritt hatten sie kaum eine Chance, etwas gegen sie auszurichten.
»Kortmann hat mir eine Liste aller Sender gegeben«, sagte er. »Damit könnten wir anfangen.«
»Großartig«, meinte Iversen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich an alle Namen erinnert hätte.« Er fing Jons Blick im Rückspiegel ein. »Ich denke, es wird das Beste sein, wenn ich sie kontaktiere.«
»Einverstanden«, sagte Jon.
»Mit wie vielen können wir rechnen, was meinst du?«, erkundigte sich Katherina.
»Keine Ahnung«, antwortete Iversen. »Das muss jeder für sich entscheiden. Wir können nicht erwarten, dass uns alle die Geschichte glauben, aber das ist sicher nicht der einzige Unsicherheitsfaktor bei der Sache. Von einigen weiß ich, dass sie unzufrieden mit Kortmann sind, aber es wird mit Sicherheit etliche andere geben, mit denen wir Probleme bekommen werden.« Er seufzte. »Allen voran Paw, fürchte ich.«
»Ich kann gut ohne ihn leben«, murmelte Katherina.
»Was ist mit den Empfängern?«, wollte Jon wissen. »Können wir mit denen rechnen?«
»Davon gehe ich aus«, meinte Katherina. »Natürlich wird es auch dort einige Skeptiker geben, aber ich bin überzeugt, dass sie uns unterstützen werden. Ich sage Clara, dass sie so schnell wie möglich ein Treffen organisieren soll.«
»Gibt es irgendetwas, das ich tun kann?«, fragte Jon.
»Du kannst trainieren«, schlug Katherina vor und lächelte.
Es kam ihm vor, als wäre es Jahre her, dass er mit Iversen auf dem Friedhof gewesen war. An jenem Tag hatte er noch eine Karriere vor sich gehabt und war mit seliger Ahnungslosigkeit gesegnet. Sein Zorn hatte sich wie all die Jahre zuvor gegen seinen Vater gerichtet, von dem er sich verraten fühlte. Jetzt war dieser Zorn verflogen, geblieben war nur die Verbitterung darüber, all die Jahre außen vor gehalten worden zu sein. Aber jetzt war eine neue Wut aufgekommen, die sich auf andere Ziele richtete, die Ursachen für den Tod seiner Eltern.
Luca lag neben Armand begraben, aber da es lange her war, dass Jon das Grab seines Großvaters besucht hatte, dauerte es eine Weile, bis er die Stelle fand. Die beiden Grabsteine standen an der Außenmauer des Friedhofs und waren von einem halbmeterhohen, soliden, schmiedeeisernen Gitter eingefasst. Die meisten Grabstellen an der Mauer waren von Efeu überwuchert, aber die Campelli-Grabstelle war erst vor kurzem hergerichtet worden. Die dunklen Granitsteine ragten wie in einem Zen-Garten stolz aus dem weißen Perlkies auf. Vor Lucas Grabstein lag ein einsamer, verwelkter Strauß.
Die Inschrift aus goldenen Lettern gab nüchtern Lucas Namen, sein Geburtsjahr und den Todestag an. Das L und das C in Vor- und Nachnamen waren mit geschwungenen Linien gestaltet wie die Anfangsbuchstaben in alten Büchern.
Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel. Es war kalt. Obgleich die Mauer und die Bäume und Büsche um ihn herum Schutz vor dem Wind boten, fröstelte er - die feuchte Kälte war sicher auch der Grund dafür, dass außer ihm auf dem ganzen Friedhof keine Menschenseele unterwegs war.
Eine Weile betrachtete Jon schweigend die Grabstelle. Er konnte nicht genau sagen, wieso er sich ausgerechnet diesen Platz zum Trainieren ausgesucht hatte. Seine Wohnung war
ihm zu stickig, und jetzt, da er auf sich allein gestellt lesen wollte, beruhigte es ihn, sich an einem Ort zu befinden, an dem es keine elektrischen Installationen gab. Vielleicht war er aber auch hier, um Luca etwas zu beweisen. Er wusste es nicht, aber es fühlte sich
Weitere Kostenlose Bücher