Die Bibliothek der Schatten Roman
mit den Schultern oder nickte anerkennend. Seine Reise durch das Antiquariat wurde aber von häufigerem Nicken als Schulterzucken begleitet, also schien er die Unternehmungen seines Mitarbeiters während seiner Abwesenheit gutzuheißen.
Der Name seines Mitarbeiters lautete Iversen, und dieser Iversen arbeitete schon so lange im Geschäft, dass man eher von einer Partnerschaft als von einem Anstellungsverhältnis reden konnte. Iversen liebte das Antiquariat ebenso wie Luca, trotzdem war es nie zu einer Teilhaberschaft gekommen. Luca hatte das Antiquariat von seinem Vater Arman Campelli geerbt, und es sollte in der Familie Campelli bleiben.
Es hatte sich nur wenig verändert, seit Arman das Geschäft an Luca übergeben hatte. Die größte Neuerung war sicher die Galerie im ersten Stock: Sie war etwa anderthalb Meter breit und lief einmal ganz rundum. Eine Erweiterung, die von den Stammkunden schnell »Himmel« getauft wurde, da hier, im
Schutz der gläsernen Vitrinen, die kostbarsten und seltensten Werke ausgestellt waren.
Bevor Luca sich auf die Galerie begab, ging er zurück zum Kassentresen, um sich Cognac nachzuschenken. Erst danach begab er sich in den hinteren Teil des Geschäfts, wo eine Wendeltreppe nach oben führte. Die Treppe gab beängstigend unter ihm nach, als er auf die ausgetretenen Stufen trat, aber er ging unbeeindruckt weiter und stand gleich darauf oben auf der Galerie, drehte sich um und ließ seinen Blick durch das Geschäft schweifen. Mit etwas Fantasie konnte man in den Regalen unter ihm ein Labyrinth frisch geschnittener Hecken erkennen, aber ihm war das alles so vertraut, dass er sich nicht darin verlief. Im nächsten Augenblick fiel sein Blick auf die beiden Koffer am Eingang. Ernste, tiefe Falten verfinsterten plötzlich sein runzeliges Gesicht, und seine braunen Augen schienen entferntere Gefilde als bloß die Etage unter ihm wahrzunehmen. Gedankenversunken führte Luca das Glas an die Lippen und atmete den Duft des Cognacs ein, ehe er einen winzigen Schluck nahm und seinen Blick von den beiden Fremdkörpern losriss, um ihn stattdessen auf die Regale auf der Galerie zu richten.
Das warme Licht in den Vitrinen hüllte die gut geschützten Bücher in einen romantischen, goldenen Schimmer. Hinter dem Glas sahen sie wie kleine Kunstwerke aus. Einige waren aufgeschlagen und zeigten farbenfrohe Illustrationen und fantasievolle Schilderungen, während andere zugeklappt waren, damit man die kunstvoll gearbeiteten, ledernen Einbände bewundern konnte.
Luca ging langsam weiter. Eine Hand strich über das Geländer der Galerie, während die andere behutsam das Cognacglas kreisen ließ. Sein Blick überflog den Inhalt der Vitrinen.
Normalerweise gab es in diesem Teil des Antiquariats selten größere Veränderungen. Nur wenige Käufer konnten sich
diese Bücher leisten, und die wenigen, die dazu in der Lage waren, kauften nur dann etwas, wenn ein Buch exakt in ihre jeweilige Sammlung passte.
Neue Werke stammten fast ausschließlich aus Haushaltsauflösungen nach Todesfällen oder in seltenen Ausnahmen aus Buchauktionen.
Deshalb erstarrte Luca, als sein Blick auf einen ganz speziellen Einband fiel. Er zog die Augenbrauen zusammen und stellte sein Glas auf dem Geländer ab, als er sich nach vorne beugte, um das Werk genauer in Augenschein zu nehmen. Der schwarze Ledereinband war mit goldenen Lettern bedruckt, und auch der Buchschnitt schimmerte golden. Luca riss die Augen auf, als er nah genug war, um Titel und Namen des Autors zu lesen. Es handelte sich um eine bearbeitete Ausgabe von Giacomo Leopardis Operette morali , noch dazu in außergewöhnlich gutem Zustand und in der Originalsprache Italienisch - Lucas Muttersprache.
Luca kniete sich hin und öffnete sichtlich beeindruckt die Vitrine. Mit zitternden Fingern fischte er seine Brille aus der Brusttasche und setzte sie auf. Vorsichtig, als wollte er seine Beute nicht verscheuchen, beugte er sich vor und nahm das Buch in beide Hände. Wie eine Trophäe nahm er es aus dem Schrank und begutachtete es von allen Seiten. Tiefe Falten erschienen auf seiner Stirn, dann richtete er sich abrupt auf und sah sich im Antiquariat um, als fühlte er sich von jemand beobachtet, ja als wähnte er irgendwo Zuschauer. Da er aber niemand sah, richtete er seinen Blick wieder auf das Kleinod in seinen Händen und schlug es vorsichtig auf.
Auf dem Titelblatt las er, dass es sich um eine Erstausgabe handelte, ein Umstand, der zusammen mit der Jahreszahl, 1827,
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