Die Bibliothek der Schatten Roman
reden konnte, bat sie um ein Glas Wasser. Sie trank es fast vollständig aus und begann dann von den Erlebnissen der Nacht zu erzählen.
Clara hörte aufmerksam zu, ohne Anzeichen von Müdigkeit, und tätschelte Katherinas Schulter, um sie zum Weiterreden zu ermuntern. Als sie von Paws Doppelspiel erfuhr, fluchte sie laut, stand auf und lief im Wintergarten auf und ab, um ihre Wut im Zaum zu halten.
»Dieser kleine …«, fauchte sie durch zusammengebissene Zähne. »Der hat mich immer schon irgendwie…« Sie beruhigte sich, als Katherinas Blick ihr verriet, dass es noch weitere schlechte Neuigkeiten gab, und setzte sich wieder zu ihr aufs Sofa. »Entschuldige, erzähl weiter.«
Es fiel Katherina schwer, über den Test zu reden, und sie brach vollends zusammen, als sie erzählte, wie sie Jon im Keller zurückgelassen hatte.
Clara holte noch ein Glas Wasser und versuchte, sie zu beruhigen.
»Du hättest nichts tun können«, sagte sie und legte die Arme um Katherina. »Wenn du geblieben wärest, hätten sie dich als Geisel behalten, um ihn weiter zu erpressen. Jetzt haben sie nichts in der Hand.«
Katherina schniefte.
»Und wenn sie ihn umbringen?«
»Das tun sie nicht«, antwortete Clara überzeugt. »Sie wollen ihn für irgendetwas nutzen. Das spüre ich. Er soll ihnen helfen. Bei irgendetwas, das nur er kann.«
Ob es Claras beruhigende Worte waren oder die Erschöpfung nach den nächtlichen Ereignissen, die Katherina hatten einschlafen lassen, war unklar, auf jeden Fall erinnerte sie sich nicht daran, was danach geschehen war.
Sie hörte Stimmen im Haus und identifizierte eine davon als Claras.
»War es denn wirklich nötig, ihr ein Schlafmittel zu geben?«, fragte die andere, die Katherina sogleich Iversen zuordnen konnte.
»Sie war vollkommen außer sich«, antwortete Clara. »Du hättest sie sehen sollen. Sie brauchte wirklich Ruhe, war aber viel zu aufgebracht, um einschlafen zu können. Manchmal braucht der Körper Schlaf, damit der Geist Ruhe findet.«
»Wenn du das sagst«, antwortete Iversen, klang aber nicht überzeugt.
Katherina hörte Schritte.
»Wie lange hält die Wirkung an?«, fragte Iversen.
»Ich bin wach«, sagte Katherina und wandte sich zur Tür.
Clara drängelte sich an Iversen vorbei und hastete zum Sofa.
»Geht es dir gut?«
Katherina nickte.
»Wie spät ist es?«
Iversen setzte sich ihr gegenüber in den Sessel, auf dem eine bunte, gehäkelte Decke lag.
»Es ist zehn Uhr vormittags«, antwortete er und warf einen Blick auf Clara. »Du hast 30 Stunden geschlafen.«
»30 Stunden!«, platzte Katherina heraus und sprang aus
dem Sofa auf. »Wie konntet ihr …?« Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie setzte sich rasch wieder hin.
»Es war zu deinem eigenen Besten«, versicherte Clara und nahm ihre Hände. »Du brauchtest Ruhe.«
Katherina zog ihre Hände weg.
»Aber Jon«, sagte sie. »Wir müssen Jon finden.«
»Wir arbeiten daran«, beruhigte Iversen. »Alle Adressen von Remer werden beobachtet. Sobald er sich zeigt …«
»Ist er verschwunden?«, fiel ihm Katherina ins Wort.
Iversen nickte und senkte seinen Blick. Er starrte auf seine Hände, die er unablässig knetete.
»Die Schule«, sagte Katherina. »Wir müssen zurück in die Schule.«
»Die Schule ist abgebrannt, Katherina«, erklärte Clara und fügte rasch hinzu: »Aber es hat keine Opfer gegeben. Das Gebäude ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Nur wenige Stunden nach deiner Flucht.«
»Die Feuerwehr hält einen Kurzschluss im Sicherungskasten für die Brandursache«, ergänzte Iversen. »Nachdem sie erkannt haben, dass sie gegen das Feuer nichts ausrichten konnten, haben sie sich darauf beschränkt, die Ausbreitung des Brandes zu verhindern.«
»Dann beseitigen sie jetzt also ihre Spuren«, sagte Katherina und blickte zu Iversen und Clara. Beide stimmten ihr nickend zu.
»Es hat auch noch ein anderes Feuer gegeben«, fuhr Iversen fort. »Kortmanns Villa ist in der gleichen Nacht abgebrannt. Seine verkohlte Leiche wurde in der ausgebrannten Bibliothek gefunden. Sie meinen, das Feuer sei durch die Glut seiner Zigarre entstanden.«
Katherina dachte an ihren Besuch in der Hellerup-Villa. Henning hatte Kortmanns Leiche in die Bibliothek getragen, in der er jetzt wie bei einer indianischen Feuerbestattung verbrannt worden war.
»Aber er wurde erhängt«, protestierte sie. »Das muss man doch erkennen können. Die Spuren am Hals und das Fehlen von Ruß in der Lunge.«
Ȇber die genauen
Weitere Kostenlose Bücher