Die Bibliothek der Schatten Roman
Remer. »Wir hielten es für sicherer für die Verlegung.«
Er wurde von einer dunkelhäutigen Frau in einem weißen Kittel unterbrochen, die mit energischen Schritten und einem frischen Glas Wasser in der Hand durch die Tür kam. Ohne Jon anzusehen, stellte sie das Glas auf dem Nachtschränkchen ab, drehte sich um und verließ den Raum wieder. Remer sagte etwas für Jon Unverständliches zu ihr, als sie an ihm vorbeiging.
»Wie ich bereits sagte«, fuhr Remer fort und breitete die Arme aus. »Es war besser, dass Sie während der Reise nicht bei Bewusstsein waren. Wir wollten doch vermeiden, dass Sie unterwegs einen Aufstand machen, nicht wahr?« Er lachte. »Betrachten Sie es von der positiven Seite. Sie haben keine Warteschlangen oder Gepäckprobleme über sich ergehen lassen müssen.«
Jon musterte ihn ausgiebig. Obgleich Remer sich offensichtlich zu amüsieren schien, deutete nichts darauf hin, dass er log.
»Wo genau bin ich?«, fragte Jon.
EINUNDDREISSIG
K atherina war sich nicht wirklich im Klaren darüber, wie es ihr gelungen war, aus dem Schulgebäude zu entkommen. Es war dunkel gewesen und ihr Blick von Tränen verschleiert, trotzdem hatte sie es irgendwie geschafft, aus dem Keller nach oben zu gelangen. Dort war sie einen Augenblick in der kühlen Nachtluft stehen geblieben, um sich zu orientieren, bis sie von drinnen aufgeregte Stimmen und Schritte hörte. Sie rannte um das Gebäude herum, über den Schulhof und durch das Tor auf die Straße. Da sie keine Autoschlüssel hatte, lief sie weiter bis in die nächste Seitenstraße. Dort blieb sie mit dem Rücken an einem Busch stehen, während sie nach Atem rang und lauschte.
Wenige Augenblicke später hörte sie, wie eine Tür geöffnet wurde. Männer redeten durcheinander, und das Geräusch von Schritten drang zu ihr. Den Stimmen nach zu urteilen waren es mindestens drei Personen. Als sich die Schritte näherten, lief sie weiter. Hinter ihr rief jemand, und sie rannte, so schnell sie konnte. Die Straßenbeleuchtung war in dieser Gegend spärlich, und es gab immer wieder Querstraßen, in die sie abbiegen konnte, so dass es ihr gelang, außer Sichtweite ihrer Verfolger zu bleiben. Nach ein paar Minuten wurde sie langsamer und sah sich um. Im Dunkel zwischen zwei Laternen sah sie am Ende des Weges eine Gestalt auftauchen, stehen bleiben und in die drei möglichen Richtungen blicken, die die Kreuzung bot.
Mit einem Mal begann hinter Katherina ein Hund zu bellen, und sie schrie vor Schrecken auf. Der schwarze Köter
sprang wütend und bedrohlich knurrend an den Gitterzaun, als ginge es um sein Leben. Die Gestalt am Ende des Weges wandte sich sofort in ihre Richtung und zwang sie weiterzulaufen. Das Herz hämmerte ihr in der Brust, und sie musste sich antreiben, um nicht langsamer zu werden. Trotzdem kamen die Schritte hinter ihr immer näher, sie konnte schon das Keuchen ihres Verfolgers hören. An der nächsten Ecke bog sie ab und rannte 15 bis 20 Meter in der Mitte der Straße, ehe sie seitlich durch eine Fahrradsperre schlüpfte. Hinter ihr war lautes Fluchen zu hören. Der Mann schien zu Boden gegangen zu sein, aber sie nahm sich nicht die Zeit, sich umzudrehen.
Hinter der Absperrung wurde der Weg breiter. Hier standen keine Einfamilienhäuser mehr, sondern größere Wohnblocks. Katherina war völlig erschöpft, ihre Beine trugen sie kaum mehr, so dass sie nur noch weiterstolperte.
Plötzlich trat ein Mann aus einer Tür und stellte sich mit ausgebreiteten Armen auf den Weg. Sie konnte nicht mehr rechtzeitig stehen bleiben, stieß mit ihm zusammen und riss ihn fast zu Boden. Einen Augenblick war sie ganz von den Kleidern des Fremden umgeben. Ein Dunst von Rauch, Bier und Schweiß drang in ihre Nase.
»Hier rein«, sagte der Mann und zog sie mit sich in den Hauseingang.
Katherina ließ es geschehen, nicht weil sie wollte, sondern weil sie keine Kraft mehr hatte, sich zu wehren. Sie hörte, wie die Tür hinter ihr geschlossen wurde.
»Verdammt, Ole!«, ertönte eine heisere Frauenstimme. »Habe ich nicht gesagt, dass du nach Hause gehen sollst? Wir haben geschlossen!«
Der Mann, der Katherina festhielt, führte sie zu einem Stuhl und nötigte sie, sich zu setzen.
»Gerly, jetzt guck doch mal, du siehst doch wohl auch, dass hier jemand Hilfe braucht«, antwortete er mit einer Stimme,
die nach einer mehrtägigen Sauftour klang. »Außerdem … außerdem kenne ich diese junge Dame hier.«
Katherina war so außer Atem, dass sie alles verschwommen
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