Die Bibliothek der Schatten Roman
Umstände des Todes ist nichts herausgekommen«, sagte Clara. »Es würde mich nicht wundern, wenn Remer auch Kontakte zur Polizei hätte und die Ermittlungen beeinflussen könnte.«
»Und Remer ist seither nicht gesehen worden?«
»Nein«, antwortete Iversen. »Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Wir haben seine sämtlichen Telefonnummern angerufen, kriegen überall aber die gleiche Antwort: Remer ist nicht zu erreichen.« Er breitete die Arme aus. »Wie gesagt, wir halten all seine Adressen unter Beobachtung. Ich muss jetzt auch gleich Henning ablösen. Aber mach dir keine Sorgen, er wird schon früher oder später auftauchen.«
Katherina ballte die Fäuste. Früher oder später, das reichte ihr nicht. Jon wurde irgendwo gefangen gehalten, weil sie ihn im Stich gelassen hatte. Wenn er nicht einwilligte, mit der Schattenorganisation zusammenzuarbeiten, war es nur eine Frage der Zeit, bis Remer aufgab und sich Jon vom Halse schaffte. Für immer. Sie spürte die Wut in sich wachsen. Warum hatten sie sie so lange schlafen lassen? Warum hatten sie nichts getan, um Jon zu finden?
»Wir haben getan, was in unserer Macht stand«, sagte Iversen, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Du musst uns glauben. Wir haben sogar überlegt, zur Polizei zu gehen und alles zu erzählen.«
»Wobei wir den Gedanken rasch wieder fallen gelassen haben«, bemerkte Clara. »Es würde Jon nicht helfen, und Remers Kontakte sind überdies vermutlich in der Lage, die Ermittlungen zu blockieren.«
Katherina sah ein, dass sie Recht hatten. Mit den Informationen, die ihnen zur Verfügung standen, konnten sie kaum mehr tun. Ihre Wut schlug in Frustration und Verzweiflung
um. Was konnte sie tun? Sie musste doch etwas unternehmen. Es tat so weh, einfach herumzusitzen und darauf zu warten, dass Remer sich zeigte - wenn er denn überhaupt jemals wieder auftauchte.
»Und was ist mit Paw?«, fragte sie fieberhaft.
Iversen schüttelte den Kopf.
»Das Apartment, in dem er gewohnt hat, ist leer. Er ist seit drei Tagen nicht mehr gesehen worden.« Er seufzte. »Natürlich war Paw nicht sein richtiger Name, so dass auch diese Spur im Sande verläuft.«
Katherina stand langsam auf. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, nur dass sie nicht länger hier sitzen bleiben konnte. Und wenn sie kreuz und quer durch Kopenhagen laufen musste, um Jon zu finden, sie wollte es tun. Alles war besser, als passiv zu bleiben.
»Ich gehe nach Hause«, erklärte sie.
Clara wollte protestieren, aber Katherina fiel ihr ins Wort.
»Es ist okay. Ich bin in Ordnung.«
»Ich fahre dich«, sagte Iversen und stand auf.
»Danke«, erwiderte Katherina und umarmte Clara. »Danke für alles, Clara.«
»Wenn ich etwas tun kann, dann lass es mich wissen, ja?«
Katherina nickte. Dann ging sie mit Iversen hinaus. Auf dem Bürgersteig vor dem Gartentor lag ein aufgerissener Müllsack, dessen Inhalt sich über die Gehwegplatten verteilt hatte. Briefumschläge, Kaffeesatz und Milchkartons lagen wild durcheinander und verunstalteten den Bürgersteig in der gepflegten Reihenhaussiedlung.
Ein Abfallsack verriet viel über seinen Besitzer. Mit einem Mal wusste Katherina, wer ihr helfen konnte.
Muhammed sperrte die Augen auf, als er Katherina vor seiner Terrassentür stehen sah. Sie hatte sich von Iversen nach Hause fahren lassen, war dort aber direkt in den Fahrradkeller gegangen,
hatte ihr Mountainbike herausgeholt und war damit nach Nørrebro gefahren. Sie wusste nicht, wieso sie Iversen nichts von ihren Plänen erzählen wollte. Vielleicht hatte sie ganz einfach das Bedürfnis, diesen Schritt allein zu tun.
»Na, wenn das nicht die Bekannte vom Lawman ist«, sagte Muhammed, als er die Tür aufschob. Er spähte in den Garten. »Haben Sie Jon abgeschüttelt?«
»Kann man so sagen«, antwortete Katherina und versuchte zu lächeln. »Ich brauche Ihre Hilfe.«
Muhammed lächelte freundlich und sah sie dabei neugierig an.
»Natürlich. Kommen Sie rein.«
Das Wohnzimmer glich noch immer einer Abstellkammer, in der sich Kisten und Kartons türmten. Direkt hinter der Tür stand ein komplettes Golfset mit Tasche, Schlägern und sogar einer passenden Tweedmütze auf einem der Schläger. Katherina zog einen Schläger heraus und wog ihn in der Hand.
»Spielen Sie Golf?«, fragte Muhammed hoffnungsvoll. »Sie könnten das günstig kriegen.«
»Nein, leider nicht«, antwortete Katherina.
»Hab ich mir schon gedacht«, sagte Muhammed. »Aber deshalb sind Sie wohl auch nicht gekommen,
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