Die Bibliothek der Schatten Roman
schrittweise Konturen an.
»Um alles andere ins Dunkel zu verbannen«, stellte Jon
trocken fest. »Katherina, den Laden, meine Familie. Sie haben mich dazu gebracht, meine Familie zu vergessen, Remer.«
»Es hat keinen Sinn, in der Vergangenheit zu verharren«, sagte Remer gereizt. »Das hätte Ihr Vater genauso gesehen. Er wäre mit Begeisterung in die Geschichten eingestiegen, um sie zu beeinflussen, wie wir es können.«
»Aber die Chance haben Sie ihm verwehrt«, warf Jon ihm vor. »Stattdessen haben Sie ihn getötet.«
»Das war unumgänglich«, erwiderte Remer. »Wir hätten ihn niemals bekehrt.«
Jon fühlte Zorn in sich aufsteigen. Die Wolken über ihnen wurden nach einem grellen Blitz wieder rabenschwarz, dann grollte der Donner.
Remer schaute beunruhigt zu den Wolken hinauf.
»Wer hat es getan?«, fragte Jon zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Ist das denn wichtig?«
»Wer war es?«, rief Jon, begleitet von einem weiteren Donnergrollen.
»Patrick Vedel«, antwortete Remer beiläufig. »Es war unumgänglich.«
»Patrick Vedel«, wiederholte Jon. Vor nicht viel mehr als einer Stunde hatten sie nebeneinander im Auto gesessen, auf dem Weg in die Bibliothek. Seine Wut steigerte sich noch, und er spürte, dass Patrick Vedel es mitbekam, denn die Hand, die er auf seiner Schulter spürte, lockerte ganz kurz den Griff, um danach fester als vorher zuzugreifen. Es war Patrick Vedel, der Jon in der Geschichte festhielt, und das war klug von ihm.
»Luca hatte von unseren Aktivitäten hier unten Wind bekommen«, fuhr Remer fort. »Ich denke, ihm ging auf, wie tief das Wasser wirklich war, auf dem er sich bewegte.«
»Mein Vater war hier?«, fragte Jon. Der Gedanke, dass Luca so eine große Distanz zwischen sich und dem Antiquariat zugelassen hatte, kam ihm abwegig vor.
»Er hätte einen guten Detektiv abgegeben«, sagte Remer. »Genau wie Sie. Aber trotzdem hat ihn überrascht, was er herausgefunden hat.« Remer schüttelte den Kopf. »Und ein Mann in Panik ist zu allem in der Lage. Wir mussten ihn stoppen.«
»Indem Sie ihn umbrachten.« »Womöglich wäre er mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit gegangen«, platzte Remer heraus. »Das wäre ziemlich übel für Ihre kleine Freundin und ihre Lesegenossen gewesen. Kein Lettore hätte davon einen Vorteil gehabt, keiner.«
Die drei Gestalten hinter Remer hatten ihre endgültige Form angenommen und sahen sich verwirrt um. Einer von ihnen war Poul Holt.
Remer lächelte. »Und, wie geht es weiter, Campelli?«
Katherina schnappte nach Luft. Die Luft im Lesesaal schien sich mit jeder Sekunde zu verdichten, und der Rauch reizte ihre Lungen. Es sprangen inzwischen mindestens drei oder vier Flammen gleichzeitig auf Balken, Säulen oder lose Gegenstände über. Einige Lettori wurden bei ihrer Flucht getroffen und zu Boden geschleudert. Manche blieben liegen, während andere auf allen vieren weiterkrochen.
Die Energie in dem Raum war stärker als bei ihrer Ankunft. Hatte sie sich anfangs wie ein leichter Flor über den Lesesaal gespannt, wälzte sie sich nun wie ein gewaltiger, rauschender, alles mit sich reißender Strom durch ihn hindurch.
Katherina hatte sich so neben der Säule platziert, dass sie sowohl Remer als auch Jon im Blick hatte. In Jons Bilderflut tauchte wiederholt ein rothaariger Mann auf. Sie erkannte in ihm einen der Männer wieder, die sie auf dem Markt verfolgt hatten. Nach den Gefühlen zu urteilen, die Jon in die Bilder legte, war der Rothaarige nicht gerade ein Freund von ihm. Der mitschwingende Zorn war enorm, und als kurze Bildsequenzen von Luca aufblitzten, wusste sie auch, warum.
Der rothaarige Mann war der Empfänger, der Luca umgebracht hatte.
Jons Konzentration wurde durch seine Wut geschwächt, so dass Katherina ihre eigene Verbitterung beiseiteschieben musste, um ihn mit all ihrer Kraft zu unterstützen. Obwohl es ihr schwerfiel, schwächte sie die Gefühle in den Bildern von Luca ab und konzentrierte ihre ganze Kraft auf die eigentliche Geschichte. Allmählich gewann Jon die Kontrolle zurück und arbeitete sich weiter durch den Text. Was genau an dem Ort vor sich ging, an dem er sich befand, konnte sie nicht erkennen, es reichte aber sicher über die Worte und Sätze des Textes hinaus.
Katherina näherte sich dem Rednerpult und damit Jon. Der Abstand spielte keine besonders große Rolle, aber ihr war wohler, wenn sie ihm näher war. Sein Gesicht verriet nichts über seinen Zustand.
Plötzlich zog ihr jemand
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