Die Bibliothek der Schatten Roman
Gerichtssaal gut gefüllt. Einige von Muhammeds Freunden waren gekommen, daneben aber auch zahlreiche Kollegen von Jon und Bekannte aus dem Jurastudium. In dieser Prozessphase warteten alle auf die Schlussplädoyers, welche sich auch auf die letzten Zeugenaussagen auswirkten, die häufig auf beiden Seiten routinemäßig und ohne großes Engagement abliefen. Sogar die Richter schienen im Geiste Däumchen zu drehen. Das Urteil sollte von einer Gruppe von fünf Richtern gefällt werden, ein Verfahren, das Jon nicht sonderlich mochte. Er zog große Geschworenengruppen vor, die sich keine vorschnelle Meinung bilden konnten, weil sie weder durch frühere Fälle voreingenommen waren noch ihn als Anwalt bereits kannten.
Der Staatsanwalt, ein hagerer Mann mit Glatze und zurückhaltender Stimme, hielt einen nüchternen Vortrag, nach dem niemand mehr an dem Ausgang des Prozesses zweifelte. Es fehlten schlicht und einfach die entscheidenden Beweise, und die verbleibenden Spekulationen und Mutmaßungen über Muhammeds Tätigkeit als Hehler waren bestenfalls zweifelhaft.
Es war mucksmäuschenstill im Saal, als Jon aufgefordert wurde, sein abschließendes Plädoyer zu halten. Er erhob sich in aller Seelenruhe von seinem Platz und trat vor die Richter. Viele seiner Kollegen improvisierten bei ihren Plädoyers, nicht so Jon. Er hatte seine Ausführungen Wort für Wort aufgeschrieben, hielt die Papiere in der Hand und wich nur selten von seiner Vorlage ab.
Jon begann mit seinem Vortrag, machte allerdings auf seine Zuhörer an keiner Stelle den Eindruck, als würde er etwas
ablesen. Die meisten bemerkten gar nicht, dass er zwischendurch immer wieder einen Blick auf seine Zettel warf. Ein Effekt, den er einer Kombination verschiedenster Techniken zu verdanken hatte, die er sich im Laufe der Zeit angeeignet hatte. So war der Text zum Beispiel so aufgeteilt, dass Jon die natürlichen Pausen nutzen konnte, um umzublättern. Die Abschnitte waren so strukturiert, dass er jederzeit die richtige Stelle wiederfand, wenn er von seinen Aufzeichnungen aufgeblickt hatte. Darüber hinaus konsultierte er sein Skript auf eine Weise, die kaum jemand auffiel. Entweder warf er nur kurz einen Blick darauf, oder er verbarg den Griff nach seinen Notizen wie ein Zauberkünstler hinter ablenkenden Gebärden.
Diese sorgfältige Vorbereitung und die Gedächtnisstütze in Form seines Manuskripts erlaubten es Jon, sich während des Plädoyers auf die eigentliche Darbietung zu konzentrieren. Gerade weil der Inhalt feststand, konnte er die Betonung des Textes auf die Zuhörer zuschneiden, bestimmte Abschnitte hervorheben, andere abschwächen und gewisse Gesichtspunkte markanter darstellen als andere.
Beim Versuch, diese Vorgehensweise einem Kollegen zu erklären, hatte er seine Arbeit mit der eines Dirigenten verglichen. Nur dass in diesem Fall er selbst das Instrument war. Er konnte aber die Wirkung je nach Bedarf und Situation akzentuieren oder abschwächen, genau wie ein Dirigent die Wirkung eines Musikstückes beeinflussen konnte. Der Kollege hatte ihn angesehen, als wäre er übergeschnappt, weshalb Jon seither nie mehr versucht hatte, seine Vorgehensweise zu erläutern. Doch sie hatte ihn bis jetzt nie im Stich gelassen.
Die Wirkung blieb auch dieses Mal nicht aus. Schon nach kurzer Zeit hingen alle an seinen Lippen. Die Stimmung spiegelte sich auch in den zufriedenen Gesichtern von Muhammed und seinen Freunden und dem anerkennenden Nicken von Jons Kollegen wider. Sogar wenn Jon ihnen den Rücken
zudrehte, spürte er ihre Unterstützung wie bei einem Heimspiel. Die Richter beugten sich auf ihren Stühlen vor, ihr Desinteresse war wie weggeblasen, und sie folgten Jon aufmerksam. Im Gegenzug sank der Staatsanwalt immer mehr in sich zusammen und fummelte nervös an seinen Papieren herum. Die Niederlage war ihm anzusehen, und dann erdreistete Jon sich auch noch, das Vorgehen der Polizei mit einer übertrieben ironischen Note darzustellen, was zu einigem Gelächter im Saal führte.
Dann war es überstanden. Nachdem Jon den letzten Satz gelesen hatte, blieb er einen Augenblick still stehen. Dann faltete er seine Papiere zusammen und ging zurück an seinen Platz. Spontaner Applaus brandete auf, doch der Richter rief die Anwesenden zur Ruhe.
Sein Mandant klopfte ihm auf die Schulter.
»Sie sind echt der reinste Perry Mason«, flüsterte Muhammed lächelnd. Jon zwinkerte ihm zu, behielt aber seinen neutralen Gesichtsausdruck.
Die Richter zogen sich zur
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