Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bibliothek der verlorenen Bücher

Die Bibliothek der verlorenen Bücher

Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
Vom Netzwerk:
aristotelische Weltbild und damit die Grundlage der kirchlichen Dogmen in Frage stellten. Bevor ein Werk in Druck ging, musste es den Zensoren des Heiligen Offiziums vorgelegt werden. Vorsichtige Autoren ließen ihre Arbeiten gar nicht erst drucken, sondern gaben ihre Abschriften nur an Gleichgesinnte weiter oder brachten sie persönlich ins protestantische Ausland, um sie dort zu veröffentlichen. Weniger vorsichtige Gelehrte mussten sich vor dem Obersten Gericht der Inquisition verantworten und hatten, im Falle einer Verurteilung, mit strengen Strafen zu rechnen: Sie wurden zusammen mit ihren ketzerischen Werken verbrannt.
       Wie ernst man die Verfolgung häretischer Ideen nahm, zeigt die Verurteilung Marco Antonio De Dominis’, der zum Zeitpunkt seiner Gerichtsverhandlung bereits mehrere Monate tot war. Sein Leichnam wurde am 21. Dezember 1624 in einem pechschwarzen Sarg vor den Inquisitor gezerrt. Nachdem man ihn wegen seiner kirchenkritischen Schriften der Ketzerei für schuldig befunden hatte, wurde der Sarg mitsamt den Büchern und Manuskripten De Dominis’ auf einen Karren geladen und zum Campo dei Fiori transportiert, wo er vor zahllosen Schaulustigen verbrannt wurde. Die Bücher und ein Bildnis des Ketzers warf man in die Flammen. Die Hauptwerke De Dominis’, »Istoria del Concilio Tridentino« und »De republica ecclesiastica«, waren da bereits in verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen im Umlauf. Seine Geschichte des Konzils von Trient, durch die erstmals die internen Kontroversen und Machtkämpfe offenbar und die Beschlüsse des Konzils anfechtbar wurden, war einer der größten verlegerischen Erfolge des 17. Jahrhunderts.
       »Wo Bücher brennen, folgen Menschen« – dies gilt insbesondere für die Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland und die propagandistisch inszenierten Bücherverbrennungen. Auf den Index kamen so gut wie alle bedeutenden Autoren der deutschsprachigen wie auch der internationalen Literatur, namenlose wie namhafte Schriftsteller wurden ins Exil getrieben, zahllose Künstler wegen ihrer Herkunft oder ihrer Überzeugungen verfolgt, verhaftet und ermordet. Von den widerwärtigen Verbrechen und Spektakeln der Nazis will ich hier nicht sprechen, sondern von jenen, die Zensur und Verbote listenreich unterwanderten. Der österreichische Schriftsteller Herbert W. Franke, der während des »Dritten Reiches« aufwuchs, erzählte von einem Leihbuchhändler, der ihn regelmäßig mit verbotenen Büchern versorgte und ihn auf diese Weise mit Autoren wie Franz Kafka, Leo Perutz und Gustav Meyrink vertraut machte. Es gibt auch Geschichten über Menschen, die den Bücherverbrennungen beiwohnten, um nicht als Regimekritiker denunziert zu werden, und eifrig Bücher ins Feuer warfen – zerlesene Schmöker, alte Kochbücher, überholte Schulbücher, die sie sowieso früher oder später aussortiert hätten. Die wertvollen und geliebten Bände von Stefan Zweig, Kurt Tucholsky, Franz Kafka, Thomas Mann, Sigmund Freud und vielen anderen hielten sie sorgsam versteckt.
       Neben Tyrannen, Inquisitoren, nationalistischen und religiösen Fanatikern waren Pädagogen die eifrigsten und nicht minder erfolglosen Bücherverbrenner. Der große französische Dramatiker Jean Racine verbrachte seine Schulzeit in einem strengen Jansenistenkloster. Eines Tages fiel ihm der Roman »Die äthiopischen Abenteuer von Theagenes und Charikleia« in die Hände, und er las das spannende Buch voller heroischer Taten und Liebesintrigen mit Begeisterung. Ein Geistlicher ertappte den Zögling bei der hingebungsvollen Lektüre, befand das Buch für unpassend und warf es ins Feuer. Racine verschaffte sich ein neues Exemplar, doch auch dieses wurde konfisziert und verbrannt. Daraufhin besorgte er sich ein drittes Exemplar, lernte den Text auswendig, brachte das Buch seinem Aufseher und sagte: »Jetzt können Sie es verbrennen, wie die beiden anderen.«
       Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland eine unheilvolle pädagogische Hysterie, neben der sich die Erfahrung des jungen Racine harmlos ausnimmt. Lehrer, Eltern und Behörden fühlten sich berufen, die Jugend vor ungeeigneter Lektüre zu beschützen. Die selbsternannten »Schundkämpfer« zogen gegen die allseits beliebten Groschenhefte zu Felde. Die Abenteuer- und Detektivgeschichten mit den unsterblichen Helden Nick Carter, Buffalo Bill und Kapitän Morgan galten als Einstiegsdroge in die Welt des Verbrechens. Das »Lesegift« musste

Weitere Kostenlose Bücher