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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

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Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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ich niemals schreiben werde.

    Die Logbücher des Admirals Zheng He

I m Jahr 1644 beschlagnahmte Liu Dazia, hoher Beamter des chinesischen Kriegsministeriums, die Reiseberichte des Admirals Zheng He, die von den großen maritimen Expeditionen Chinas zu Beginn des 15. Jahrhunderts zeugten. Da diese Berichte »betrügerische Übertreibungen bizarrer Dinge« enthielten, sollten sie verbrannt werden. Dem Kriegsminister erklärte der Beamte hingegen, die Logbücher Zheng Hes seien verloren. Der Grund für diese Maßnahme ist ebenso ungewiss wie der Inhalt der Aufzeichnungen. Man stelle sich vor, die Spanier hätten das Bordbuch des Kolumbus verbrannt.
       Zheng He war gewissermaßen der Kolumbus Südostasiens und des Indischen Ozeans. Er wurde 1371 in dem von Mongolen besetzten Yunnan als Sohn eines Mohammedaners und Mekkapilgers geboren. Nach der Rückeroberung seiner Heimatstadt durch den Kaiser Hongwu kam der junge Zheng He nach Peking, wo er als Eunuch in den Harem des Fürsten Yan, des späteren Kaisers Yongle, aufgenommen wurde. Er gewann das Vertrauen Yongles und begann unter dessen Protektion eine militärische Laufbahn, die ihn zu höchsten Ehren führte. Für den Kaiser, der danach strebte, den Ruhm und die Macht seines Reiches in die fernsten barbarischen Regionen jenseits des Meeres hinauszutragen, war der erfahrene Krieger und Diplomat Zheng He der richtige Mann. Er sollte die gewaltigen und prestigeträchtigen Expeditionen der kaiserlichen Hochseeflotte befehlen.
       Chinesische Inschriften legen nahe, dass Zheng He sieben große Seefahrten mit jeweils mehr als hundert Schiffen organisierte, an denen mehrere zehntausend Soldaten beteiligt waren. Das Herz der Flotte bestand aus gigantischen Hochseedschunken, die bis zu neun Masten besaßen und Tausende Menschen – Wissenschaftler, Dichter, Händler, Militärs, Konkubinen – transportierten. Nach der offiziellen Geschichtsschreibung kam die chinesische Schatzflotte, die den Auftrag hatte, Handelsbeziehungen aufzubauen und exotische Kuriositäten an den kaiserlichen Hof zu bringen, bis nach Indien, Ceylon, Arabien und an die Ostküste Afrikas. In Südostasien hinterließ das Erscheinen Admiral Zheng Hes einen so großen Eindruck, dass er stellenweise als Gott verehrt wurde. Die zu seinen Ehren erbauten Tempel tragen den Namen Sanbao miao, nach dem offiziellen Titel Zheng Hes, Sanbao taijian (»Eunuch der drei Schätze«). Spuren dieses Kultes finden sich noch heute.
       Eine Stele, die Zheng He im Jahr 1431 errichten ließ und die erst 1930 wiederentdeckt wurde, enthält folgende Inschrift: »Wir haben mehr als 100000 Li immenser Wasserflächen durchquert und haben im Ozean riesige Wellen gesehen, die sich wie Berge zum Himmel erhoben, und unsere Augen haben barbarische Regionen gesehen, die weit entfernt in blauem, undurchsichtigem Dunst verborgen liegen, während unsere Segel, erhaben wie Wolken entfaltet, Tag und Nacht ihre Bahn zogen, schnell wie die eines Sterns, jene wilden Wellen durchquerend.«
       Warum aber wurden die für Handel und Diplomatie so bedeutenden Logbücher des Admirals vernichtet? Historiker führen dies auf die nach dem Tod des weltoffenen Kaisers Yongle extrem isolationistische und fremdenfeindliche Politik der Ming-Dynastie zurück. Eine umstrittene und phantastische Theorie besagt, dass die Schiffe Zheng Hes in den Jahren 1421 bis 1423, den Meeresströmungen folgend, um die ganze Welt segelten und die chinesischen Geographen lange vor Kolumbus, Magellan und Cook die Küsten Nord- und Südamerikas, Neuseelands und Australiens kartographierten. Die ruhmreichen europäischen Entdecker traten demnach überall, wo sie an unbekannten Küsten der Neuen Welt landeten, in die Fußstapfen der Chinesen. Kleine Indizien, die diese Vorstellung zwar nicht bestätigen, aber etwas glaubwürdiger machen, finden sich in klassischen chinesischen Reiseberichten, die zum Teil von Vertrauten Zheng Hes veröffentlicht, aber als reine Fiktion abgetan wurden: »Aufzeichnungen über die Barbarenreiche der westlichen Meere« von 1434, »Wunderdinge, die vom Sternenschiff entdeckt wurden« von 1436 und »Wunder der Meere« von 1451 sind die berühmtesten dieser geographischen Werke, die in Europa gänzlich unbekannt geblieben sind.
       Hätte der deutsche Kartograph Martin Waldseemüller die Möglichkeit gehabt, auf die Aufzeichnun gen Zheng Hes zurückzugreifen, so hätte er den neuentdeckten Kontinent auf seiner Weltkarte vielleicht nicht

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