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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

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Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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nach dem florentinischen Kaufmann Amerigo Vespucci benannt. Bemerkenswert ist allerdings, dass Waldseemüller 1507 ein recht detailliertes Bild der Pazifikküste Nordamerikas zeichnen konnte, die zu jener Zeit noch kein Europäer mit eigenen Augen gesehen hatte.

    Brennende Bücher

    S eit es Bücher gibt, gibt es auch Versuche, die Verbreitung unliebsamer Werke zu unterbinden. Doch Verbote bis hin zu organisierten oder spontanen Bücherverbrennungen erwiesen sich meist als vollkommen nutzlos, einen kritischen Text oder eine unwillkommene Idee aus der Welt zu schaffen. Dies gilt auch für die Zeit vor der Erfindung des Buchdrucks. War ein bestimmtes Werk populär genug, um die Aufmerksamkeit der Zensoren und Mächtigen auf sich zu ziehen, konnte man davon ausgehen, dass bereits genügend Abschriften im Umlauf waren, um die Auslöschung der unbequemen Gedanken zu verhindern.
       Der Sophist Protagoras von Abdera wurde im Athen des Jahres 411 v. Chr. der »Gottlosigkeit« angeklagt und schuldig befunden, woraufhin man seine Schriften öffentlich verbrannte. Von Protagoras stammt der berühmte Satz: »Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nichtseienden, dass sie nicht sind.« Seine skeptische Haltung erschütterte den Glauben an die göttliche Legitimation: »Über die Götter weiß ich nichts zu sagen, weder dass sie sind, noch dass sie nicht sind, noch welcher Art, denn vieles hindert unsere Erkenntnis, die Dunkelheit des Gegenstandes und die Kürze des menschlichen Lebens.« Allein die Tatsache, dass ich nach all den Jahrhunderten diesen Satz zitieren kann, macht deutlich, dass Bücherverbrennungen keine geeignete Methode sind, um die Verbreitung von Ideen zu verhindern. Trotz der Verurteilung des Protagoras und der Vernichtung seiner Schriften waren rund sechshundert Jahre nach seinem Tod noch zahlreiche seiner Werke erhalten. Sie wurden von Diogenes Laertios erwähnt und gingen dann – mit Ausnahme einiger überlieferter Textfragmente und Zitate – im Laufe der Jahrhunderte aus Gründen verloren, die ich an anderer Stelle ausführlich beschreiben werde.
       Schwerer abzuschätzen sind die Folgen der Bücherverbrennung, die Zheng von Qin, der erste Kaiser der chinesischen Qin-Dynastie, im Jahr 213 v. Chr. anordnete. Verärgert über die angesehenen Gelehrten, die seine Verschwendungssucht, Tyrannei und das harte Strafsystem kritisierten, ließ er alle Bücher im Land – mit Ausnahme der medizinischen und landwirtschaftlichen Abhandlungen – verbieten und verbrennen. Als kleiner Trost für Bücherfreunde sei erwähnt, dass sich dieser Despot nur wenige Jahre an der Macht halten konnte.
       Natürlich gab es auch im antiken Rom immer wieder halbherzige Versuche, politisch unbequeme oder moralisch fragwürdige Schriften aus der Welt zu schaffen. So richtete sich der Zorn des sittenstrengen Kaisers Augustus gegen die Werke Ovids. Angeblich war der Grund für dessen Verbannung nach Tomi am Schwarzen Meer die erotische Freizügigkeit seiner Liebeselegien »Amores« und des nützlichen und heute noch vielgelesenen Ratgebers über die Liebeskunst »Ars ama toria«, der bei seinem Verbot schon acht Jahre im Umlauf war. Doch da es kein Gerichtsurteil gab, blieb viel Raum für wilde Spekulationen. Möglicherweise hatte die Ungnade des Kaisers gar nichts mit Ovids Büchern zu tun, sondern mit einer politischen Intrige oder mit einem geheimnisvollen Skandal um die Enkelin des Augustus. Zum Zeitpunkt der Verbannung war Ovids Hauptwerk, die »Metamorphosen«, noch nicht erschienen, und der Dichter verbrannte das Manuskript aus Verzweiflung über sein Schicksal. Glücklicherweise gab es weitere Abschriften, so dass dieses Buch wohl nie einen Platz in unserer Bibliothek finden wird – Ovid selbst nannte es ein Werk, »das nicht Jupiters Zorn, nicht Feuer, nicht Eisen, nicht das nagende Alter wird vernichten können«.
       Nicht sonderlich effektiver als die Methoden der römischen Kaiser, unliebsame Stimmen zu unterdrükken, waren die des Heiligen Offiziums der römischkatholischen Kirche im 16. und 17. Jahrhundert. Im Jahr 1559 gab das Offizium zum ersten Mal den »Index Librorum Prohibitorum« heraus, eine Liste der für gläubige Christen verbotenen Bücher, deren Inhalt der im Konzil von Trient festgelegten Lehre widersprach. Als gefährlich und unerwünscht galten zunächst alle wissenschaftlichen Texte, die wie die Schriften Johannes Keplers und Galileo Galileis das

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