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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

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Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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Vorstellung von dem Wert und der Bedeutung der kaiserlichen Akademie besaßen. Bei der Plünderung Pekings nach der Niederschlagung des Boxeraufstandes wurden ebenfalls viele bedeutende Manuskripte vernichtet oder von den ausländischen Besatzern gestohlen. Zu ihnen gehört auch die 370 Bände umfassende, prachtvoll illustrierte Enzyklopädie »Yongle Dadian«, die 1407 auf Wunsch jenes weltoffenen Kaisers erstellt wurde, der auch die großen Seereisen des Admirals Zheng He befohlen hatte.
       Kriegerische Auseinandersetzungen, religiöse und ideologische Konflikte führten häufig zur Zerstörung von Bibliotheken. Im Europa der Religionskriege und des Dreißigjährigen Krieges wurden zahllose Büchersammlungen verbrannt und geplündert. Die berühmte Sammlung der Heidelberger Bibliotheca Palatina, die mehr als 3500 Handschriften und 5000 kostbare Drucke umfasste, wurde 1622 von den katholischen Eroberern der Stadt geraubt und nach Rom gebracht, wo sie Papst Gregor XV. als Geschenk dargeboten wurde. Die Manuskripte ihres Leiters, des holländischen Humanisten Janus Gruterus, warf man hingegen achtlos auf die Straße und in den Hof, wo sie im Schmutz und unter den Hufen der Pferde verschwanden.
       In die Reihe der verbrannten Bibliotheken musste in jüngster Zeit die Universitätsbibliothek von Sarajevo aufgenommen werden, die im Bosnienkrieg zerstört wurde und deren Ruine für viele, die sie gesehen haben, die schreckliche Sinnlosigkeit jenes Krieges symbolisiert, sowie die Anna Amalia Bibliothek in Weimar, die in der Nacht des 2. September 2004 in Flammen aufging. Bis zu 50000 kostbare Druckwerke wurden binnen weniger Stunden durch das Feuer vernichtet oder durch Löschwasser stark beschädigt. Michael Knoche beschrieb in seinem Buch »Die Bibliothek brennt« die Katastrophe, aber auch die kleinen Wunder der Rettung, die dem mutigen Einsatz zahlreicher Helfer zu verdanken sind.
       Bislang wurden lediglich öffentliche Bibliotheken erwähnt. Wie viele Privatbibliotheken im Laufe der Jahrhunderte zerstört wurden und welche kostbaren Bücherschätze dabei verschwanden, daran will ich gar nicht denken. Als Beispiel möchte ich die Sammlung von Richard Pils (ihm sei dieses Kapitel gewidmet) aus Weitra anführen, die durch ein Feuer gänzlich zerstört wurde. Bücher, Originalmanuskripte, Kunstwerke und seltene Fotografien gingen für immer verloren, doch die »Bibliothek der Provinz«, der kleine Verlag, der aus jener Büchersammlung hervorgegangen war, existiert weiter und sorgt unermüdlich dafür, dass sich die Regale mit neuen Werken füllen.
       Eine andere Privatbibliothek, über deren Verbleib nichts bekannt ist, gehörte dem Großwesir von Persien, Abdul Kassem Ismael. Er war ein leidenschaftlicher Leser, der es nie lange ohne fesselnde Lektüre aushielt. Auf seinen strapaziösen Dienstreisen in abgelegene Provinzen langweilte er sich unsäglich. Er sehnte sich nach seinen Büchern, die ihm ganz nach Wunsch Zerstreuung oder Anregung bieten konnten. Eines Tages kam er auf die Idee, seine wertvolle Sammlung einfach mitzunehmen – 117000 Bände, gut verpackt und stets griffbereit, auf 400 Kamelen, die in alphabetischer Reihenfolge marschierten. Die merkwürdige Bücherkarawane zog los und bereitete dem Großwesir viel Freude. Wo immer er war, fühlte er sich wie zu Hause. Langwierige Missionen in unwirtliche Wüstengegenden und endlose Aufenthalte in trostlosen Bergdörfern erschienen ihm nun kurzweilig und erbaulich. Doch auch die Spur dieser herrlichen Bibliothek verliert sich im Sand der Zeit.

    Mehr oder weniger imaginäre Bibliotheken

    I maginäre Bibliotheken sind Büchersammlungen, die in literarischen Texten beschrieben werden. Das berühmteste Beispiel derartiger Gedankenspiele ist die Bibliothek von Babel, die Jorge Luis Borges in seiner gleichnamigen Erzählung beschreibt: »In der ungeheuer weiträumigen Bibliothek gibt es nicht zwei identische Bücher. Aus diesen unwiderleglichen Prämissen folgerte er, daß die Bibliothek total ist, und daß ihre Regale alle irgend möglichen Kombinationen der zwanzig und soviel orthographischen Zeichen (deren Zahl, wenn auch außerordentlich groß, nicht unendlich ist) verzeichnen, mithin alles, was sich irgend ausdrücken läßt: in sämtlichen Sprachen. Alles: die bis ins einzelne gehende Geschichte der Zukunft, die Autobiographien der Erzengel, den getreuen Katalog der Bibliothek, Tausende und Abertausende falscher Kataloge, den Nachweis ihrer

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