Die Bibliothek des Zaren
»Es tagt schon. Giwi ruft jetzt die Miliz, da machen wir beide uns besser aus dem Staub.«
***
»Ich muss Ihnen etwas erklären und mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte Gabunija und erhob sich von einem riesigen Ebenholztisch, um Fandorin entgegenzugehen.
In der Nacht (genauer: schon im Morgengrauen) war es nicht mehr zu einem Gespräch gekommen. Nach den überstandenen Strapazen war der Magister in einem schockähnlichen Zustand. Nachdem er aus der Gruft in den Keller, von da in den Hof und vom Hof auf die Straße gelangt war, wo eine ganze Herde von Nilpferd-Jeeps wartete, merkte Nicholas, dass ihm schwindlig war. Als er sich auf dem knarrenden Ledersitz niedergelassen hatte, lehnte er seine Schläfe an die weiche Schulter des Bankiers und sank in einen tiefen Schlaf, der einer Ohnmacht glich und aus dem er erst neun Stunden später in der Wohnung in der Kijewskaja-Uliza erwachte. Er öffnete die Augen und erblickte auf dem Stuhl vor dem Sofa einen reglosen brünetten Mann mit keck hochgezwirbeltem Schnurrbart. Das war jener Giwi, der dem Magister schon zweimal das Leben gerettet hatte.
»Jetzt eine Tasse georgischer Kaffee, und dann ab zum Chef«, sagte der Kommandeur der Gabunija-Schwadron streng.
Nicholas stützte sich auf den Ellbogen, richtete sich auf und blickte um sich.
»Der Einband liegt bei einem Experten zur Begutachtung«, erklärte Giwi, obwohl er noch gar nicht gefragt worden war.
Dann geschah alles, wie er gesagt hatte: eine Tasse dickflüssiger, äußerst starker Kaffee, eine kalte Dusche, Raserei in einem Wahnsinnstempo auf dem Mittelstreifen mit Blaulicht Richtung Zentrum, die ruhige Gnesdnikowski-Gasse, die Geschäftsräume der »Eurodebet«. Merkwürdig war nur eins: Ins Zimmer des Vorsitzenden führten sie Fandorin nicht durch das Vorzimmer der Sekretärin wie beim letzten Mal, sondern durch den Hintereingang und eine Seitentür. Nicholas verstand absolut nicht, wozu diese Konspiration noch nötig sein sollte.
Das Gespräch begann mit Entschuldigungen.
»Ich habe Ihnen übel mitgespielt, Nikolai Alexandrowitsch«, sagte der zerknirschte Bankier mit gesenktem Kopf, wodurch sein Doppelkinn sich in eine dritte Falte legte. »Ich habe Sie benutzt. Das hätte Sie das Leben kosten können, obwohl Giwi und seine Truppe auf Sie aufgepasst haben.«
»Sie meinen die ›Schwadron‹?«, fiel Nicholas ein und prahlte mit seiner Informiertheit.
Joseph Guramowitsch verdrehte die Augen und gab damit seiner Begeisterung über den Scharfsinn seines Gesprächspartners Ausdruck.
»Ja. Das ist eine Spezialabteilung, die ich geschaffen habe, als ich erfuhr, dass der Chef des Sicherheitsdienstes für meinen Konkurrenten arbeitet. Das war sehr bequem: Sedoi dachte, er wisse alles über mich, wusste in Wirklichkeit aber nur das, was ich Sergejew auf die Nase gebunden hatte. Diese KGBler! Ihnen reicht es nie, nur Ausführende zu sein, sie wollen unbedingt zu den Drahtziehern gehören!«
Der Magister machte ein finsteres Gesicht und fragte:
»Wollen Sie damit sagen, Sie haben mich Sergejews Obhut mit Absicht anvertraut, um Sedoi zu ködern? Und Ihre Leute beschatteten gleichzeitig sowohl mich als auch Sergejew?«
»Na, und Sedoi selbst natürlich«, ergänzte Gabunija. »Und Sie sehen ja, wie gut alles geklappt hat. Sedoi steht jetzt mit einer langen Nase und ohne beide Hände da: seine linke Hand, Wladimir Iwanowitsch Sergejew – er war ein großer Sünder, doch Gott möge ihm verzeihen –, hat die rechte Hand abgehackt, den schlechten Menschen Schurik – dem verzeiht der Herrgott ohnehin nicht, so dass ich Gott erst gar nicht bitten werde – . Hat sie abgehackt und ist selbst verdorrt, weil Giwi unseren Oberst erschossen hat. Das ist natürlich schade, aber was hätte er denn sonst tun sollen? Na, macht nichts, meine Rechtsanwälte sind erstklassig, die werden schon beweisen, dass das Notwehr war. Giwi hat einen Waffenschein, also alles, wie es sich gehört. Seine Truppe, die tollen Kerle, haben mit einer versteckten Kamera aufgenommen, wie Sedoi sich mit Sergejew und auch mit Schurik getroffen hat. Der Film liegt schon bei der Hauptverwaltung für den Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Sedoi soll sich mal was einfallen lassen, um zu erklären, warum er sich mit diesem Spinner getroffen hat. Wlad hat jetzt etwas Besseres zu tun, als sich für die ›Westciboyle‹ zu interessieren. Dem geht der Arsch auf Grundeis, da sind ihm die ausgeschriebenen Mehrheitsanteile dieser Gesellschaft
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