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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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aber volle Pulle, dass dir das Hirn auf den Ärmel spritzt.«
    Nicholas antwortete mit einer kurzen russischen Redewendung aus seinem Notizbuch, die weitaus gröber und radikaler als »Leck mich am Arsch« ist.
    In dem schwarzen Quadrat zuckte ein Blitz auf, und der Krach von dem Schuss war in dem geschlossenen Raum so laut, dass der Magister sich die Ohren zuhielt und sich vornüber beugte. Im ersten Moment kam es ihm so vor, als ob auf seinem Trommelfell, wie der Name schon sagt, ein zu ausgelassener Trommelwirbel geschlagen worden wäre und es von der Belastung geplatzt wäre.
    Als Nicholas wieder hören konnte, was erst eine halbe Minute später der Fall war, stellte sich heraus, dass Wladimir Iwanowitsch nicht schwieg, sondern Argumente anführte, die seine Aufforderung unterstreichen sollten:
    ». . . Meister im Schießen«, sagte der Oberst a.D. »Ich habe viermal einen Preis bekommen. Ich schieße aus fünfzig Metern Entfernung durch einen Ehering. Die nächste Kugel kriegst du Arsch mit Ohren in den Ellbogen des linken Arms, in den Speichennerv. Du hast ja keine Ahnung, wie weh das tut. Du wirst dich winselnd auf dem Boden wälzen. Und wofür? Ich lass dich hier sowieso nicht lebend raus. Nimm schon das Eisenstück. Dann hast du’s hinter dir.«
    Fandorin schlug instinktiv seine Hände um die Ellbogen und stürmte zur Seite aus dem Lichtkegel heraus, aber der Strahl fand ihn im Handumdrehen.
    »Besonders gern schieße ich auf bewegliche Ziele . . .«
    Sergejew bekam einen solchen Lachanfall, dass er fast röchelte. Die Lampe wackelte und beleuchtete das Gesicht des Obersten von der Seite, und da konnte man sehen, wie Wladimir Iwanowitschs Augen verwundert glotzten und er selbst so verzweifelt über dem Loch hing, als trete ihn oben jemand mit dem Fuß.
    Eine kräftige Stimme mit starkem georgischen Akzent, die Nicholas schon einmal gehört hatte, brüllte:
    »Sosso ist ein Rindvieh? Du bist ein Rindvieh, du verfluchter KGBler.«
    ***
    »Warum bist du denn so grob, Giwi«, hörte man eine andere Stimme sagen, die ebenfalls einen Akzent hatte, aber nur einen ganz leichten. »Du arbeitest doch jetzt bei der Bank und wirst Abteilungschef. Da ist das nichts, mein Lieber, gewöhn dir das ab.«
    Joseph Guramowitsch Gabunija, der große Sosso höchstpersönlich, mit seinen Begleitern, Kämpfern der geheimen »Schwadron« vermutlich. O Gott, o Gott, mit was für Überraschungen musste man denn noch in dieser endlosen Nacht rechnen?
    »Joseph Guramowitsch!«, sagte Sergejew, der sich wand und vergeblich versuchte, sich zu befreien. »Sagen Sie ihm, er soll seinen Fuß von meinem Rücken nehmen. Ich erkläre Ihnen alles! Es handelt sich hier um ein kompliziertes Doppelagenten-Spiel. Ich habe eine Kombination von unterschiedlichen Zügen angewandt, mit Sedoi Kontakt aufgenommen, und nun haben wir ihn in der Tasche! Gerade heute wollte ich die Operation zu Ende führen und Ihnen von alldem erzählen. Das Resultat ist umwerfend. Ich weiß jetzt, was . . .«
    Ohne eine Sekunde im Redefluss innezuhalten, schaffte es der findige Oberst, der sich mit der Hand, in der er die Taschenlampe hielt, am Rand des Loches abstützte, die andere Hand – mit der Pistole – unmerklich unter der Achsel verschwinden zu lassen. Fandorin, der dieses Manöver von unten bestaunte, wollte den Kaukasiern zurufen, sie sollten auf der Hut sein, besann sich aber eines Besseren. Sollten diese Haie doch unter sich abmachen, wer der Stärkere in ihrer »Eurodebet«-Bank ist. Die persönlichen Perspektiven eines gewissen Magisters sahen, egal wie es ausgehen würde, sowieso nicht beneidenswert aus.
    Wladimir Iwanowitsch drehte sich abrupt um und streckte die Hand, so weit es ging, aus – wahrscheinlich wollte er den grimmigen Giwi von unten durchlöchern, aber der war auch nicht auf den Kopf gefallen. Man hörte von oben einen lauten Knall, und der Oberst, der nicht dazu gekommen war, den Abzug zu betätigen, flog kopfüber nach unten. Die Leiche machte in der Luft Handstand, schlug mit dem Kopf auf den Boden auf, vollführte einen plumpen Purzelbaum und streckte sich der Länge nach hin.
    Auch die Taschenlampe fiel herunter, zerbrach aber nicht und erlosch auch nicht. Den Magister interessierte das Licht jetzt allerdings herzlich wenig; was er suchte, war etwas, womit er sich verteidigen konnte: Da kam ihm die Pistole, die in der Hand des toten Wladimir Iwanowitsch prangte, gerade recht.
    Fandorin machte eine schnelle Bewegung und hörte sofort von

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