Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Moskau schließlich den Garaus zu machen. So ist das, Cornelius. Man hätte nicht den Anstand wahren, sondern sie schon gestern, am Sterbelager des Herrschers, an der Gurgel packen sollen. Tja, auch ein alter Hase hat nicht immer die richtige Nase.«
    Von Dorn stand stramm und versuchte, den Sinn der schrecklichen Nachricht zu erfassen. Artamon Sergejewitschs Stern hatte hoch am Himmel geglänzt und war mit einem Mal erloschen. Man würde ihn in die Verbannung schicken. Und was war mit denen, die ihm treu gedient hatten? Es wäre noch das kleinste Übel, wenn er ins Regiment zurückgejagt würde.
    »Es hat keinen Sinn, dass du mir weiter dienst«, sagte Matfejew, als habe er von Dorns Gedanken gelesen, »da gehst du nur zu Grunde. Du hast mir gut gedient, und dafür will ich dich belohnen: Hier hast du eine Entlassungsurkunde, damit du ungehindert aus dem Russischen Reich ausreisen kannst, wohin du willst, und einen Sack Goldmünzen. Was soll ich jetzt mit dem Gold? Sie werden es ohnehin für die Staatskasse konfiszieren. Fahr weg, Hauptmann, bevor es zu spät ist. Gestern sind schwedische Kaufleute aufgebrochen, sie steuern Reval an. Ihre Schlitten sind mit Waren beladen und kommen nur langsam vorwärts. Die kannst du leicht einholen. Na, dann küss mir die Hand und leb wohl. Behalte Artamon Matfejew in guter Erinnerung!«
    Als er aus dem Arbeitszimmer in den Saal ging, wischte sich Cornelius die Tränen ab. Über den schweren Sack freute er sich. Dem Gewicht nach zu schließen, waren nicht weniger als Tausend Goldmünzen darin.
    Aus einem venezianischen Sessel erhob sich eine leichte Gestalt und kam ihm entgegen: Alexandra Artamonowa, Saschenka!
    »Ich bin über alles unterrichtet«, flüsterte das Fräulein hastig. »Vater hat es mir erzählt. Fährst du weg? Dann gebe dir Gott, Kornej, dass du dein Glück findest. Ich wusste ja, dass wir nicht füreinander bestimmt sind. Früher flog ich reichlich hoch, jetzt falle ich nach unten und zerschelle auf der Erde. Leb wohl, mon amour impossible. Auf Russisch kann man das nicht sagen, das wäre unanständig.«
    Saschenka schlang dem großen Musketier ihre Arme um den Hals, küsste ihn schnell auf die Lippen, und bevor der verdutzte Cornelius auf ihre Umarmung reagieren konnte, war sie schon aus dem Saal gelaufen.
    Äußerst nachdenklich machte sich von Dorn auf den Weg zu seiner Wohnung.
    Die Hauptsache für Cornelius war, nicht auf sein dummes Herz zu hören, denn das wollte ihn ins Verderben stürzen.
    Es war ja sonnenklar, was er machen musste. Die Bücher aus dem Altyn-Tolobas holen und der schwedischen Karawane hinterherjagen. Wenn er die Edelsteine von den Beschlägen verkaufte, wäre Ritter von Dorn reich und frei, er müsste also nicht in diesem wilden, unseligen, gefährlichen Land leben, sondern könnte in sein liebes Schwaben. Das zu Punkt eins.
    Bei Matfejew zu bleiben, wäre unsinnig, denn der Bojar war dem Untergang geweiht. Das zu Punkt zwei. Einen so einflussreichen Mann würde man natürlich nicht hinrichten und nicht am Wippgalgen aufhängen – schließlich leben wir ja nicht zu Zeiten Iwans des Schrecklichen – aber den kleinen Anführer seiner Wache könnten sie, um eine falsche Bezichtigung gegen den in Ungnade gefallenen Kanzler aus ihm herauszupressen, ohne weiteres in die Folterkammer bringen. Cornelius zitterte bei dem Gedanken an den Folterknecht Silanti, die Zange in dem Kohlenbecken und den Strick an der Decke.
    Und der dritte und letzte Punkt: Alexandra Artamonowna war hübsch, das war nicht zu bestreiten. Aber wenn man es einmal nüchtern betrachtete, ohne Liebesrausch, so war sie ein Fräulein wie jedes andere auch, nichts Besonderes. Warum hatte er sich in Saschenka verliebt? Nur deshalb, weil sie die Einzige in ganz Moskowien war, die einem richtig europäischen Mädchen edlen Geschlechts und guter Erziehung ähnelte. Aber er war ja schließlich kein Kind mehr, ihm war in seinem Leben so manches Fräulein und so manche Dame untergekommen, ganz zu schweigen von den einfachen Mädchen und Weibern. Das konnte er doch nicht von der Hand weisen. In Amsterdam oder erst recht in Paris könnte er solche wie Saschenka oder sogar noch bessere in rauen Mengen finden. Besonders, wenn man sagenhaft reich war, nicht übel aussah und noch gar nicht alt war.
    Nein, nein, es ist entschieden, beruhigte sich Cornelius, der zufrieden war, dass das leichtsinnige Herz unter dem Druck des Verstandes verstummt war. Schon morgen früh würde er die Liberey aus

Weitere Kostenlose Bücher