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Die Biene Maja

Die Biene Maja

Titel: Die Biene Maja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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man es hört, muß man dem Klang nachgehen.«
    Die Fremde schaute Maja mit großen Augen an:
    »Was sind denn Sie für ein Krabbeltier?« fragte sie endlich. »So was hab ich noch nie gesehen.«
    »Ich bin durchaus kein Krabbeltier,« sagte die Biene ernst, »ich bin Maja vom Volk der Bienen.«
    »Ach, vom Volk der Bienen, so, so ...«, sagte die Fremde. »Sie leben am Tage, nicht wahr? Ich habe durch den Igel von Ihrem Geschlecht gehört. Er erzählte mir, daß er am Abend die Toten fräße, die aus Ihrem Stock geworfen werden.«
    »Ja,« sagte Maja mit leisem Bangen, »das ist wahr, Kassandra hat mir davon erzählt, der Igel kommt in der Abenddämmerung, er schmatzt und sucht die Toten. Die Wächter haben es erzählt. Aber verkehren Sie denn mit dem Igel? Der Igel ist doch ein gradezu fürchterliches Untier.«
    »Das finde ich nicht«, sagte die Fremde. »Wir Nachtgrillen stehen uns eigentlich ganz gut mit ihm. Natürlich, er versucht es immer wieder, uns zu greifen, aber es gelingt ihm nie. So necken wir ihn oft und treiben unser Spiel mit ihm. Wir nennen ihn Onkel. Leben muß schließlich jeder, nicht wahr? Und solange einer nicht von mir lebt, kann es mir ja gleichgültig sein.«
    Maja schüttelte das Köpfchen, sie dachte anders darüber, sie aber wollte die Fremde nicht durch Widerspruch verletzen. So fragte sie freundlich:
    »Sie sind also eine Grille?«
    »Ja, eine Nachtgrille. Aber Sie dürfen mich nicht länger stören, ich muß spielen. Es ist Vollmond, und die Nacht ist wundervoll.«
    »Ach, machen Sie eine Ausnahme,« bat Maja, »erzählen Sie mir von der Nacht.«
    »Die Sommernacht ist das Schönste in der Welt,« antwortete die Grille, »sie füllt das Herz mit Seligkeit. Was Sie nicht aus meinem Spiel hören, werde ich Ihnen auch nicht erklären können. Warum muß man immer alles wissen? Wir armen Wesen wissen vom Dasein nur ein kleines Teil, aber fühlen können wir die ganze Herrlichkeit der Welt.«
    Und sie begann ihr helles, jubelndes Silberspiel, es klang laut und übermächtig, wenn man es so nah hörte, wie Maja saß. Und die kleine Biene saß ganz still in der blauen Sommernacht und hörte zu und dachte sehr tief über das Leben nach.
    Da wurde es neben ihr still. Es klirrte leise, und sie sah die Grille in den Mondschein hinausfliegen.
    Die Nacht macht so traurig, dachte die kleine Maja.
    Sie wollte nun hinunter auf die Blumenwiese. Am Bachrand standen Wasserlilien, sie spiegelten sich in der raschen Flut, die den Mondschein mit sich trug. Es war herrlich anzuschauen. Das Wasser flüsterte und blinkte und die geneigten Lilien schienen zu schlafen. Sie sind eingeschlafen vor lauter Glück, dachte die kleine Biene. Sie ließ sich auf einem weißen Blumenblatt, mitten im Mondschein nieder und konnte den Blick nicht von dem lebendigen Wasser des Baches wenden, das in zitternden Funken aufblitzte und wieder erlosch. Drüben am Ufer schimmerten Birken, und es sah aus, als hingen die Sterne darin.
    Wohin fließt nur all dies Wasser, dachte sie. Die Grille hat recht, wir wissen so wenig von der Welt.
    Da hörte sie dicht neben sich im Kelch einer Lilie ein feines singendes Stimmchen, so rein und glockenhell, wie sie noch niemals einen irdischen Klang vernommen hatte; ihr Herz begann laut zu klopfen, und ihr Atem stockte.
    O, was wird geschehen, dachte sie, was werde ich zu sehen bekommen.
    Die Lilie schwankte leicht, dann sah sie, daß eines der Blätter sich am Rande ein wenig nach innen bog und sie erblickte eine ganz kleine, schneeweiße Menschenhand, die sich mit winzigen Fingerchen daran festhielt. Dann tauchte ein blondes Köpfchen auf und ein lichtes, zartes Körperchen in einem weißen Kleid. Es war ein ganz kleiner Mensch, der aus der Lilie emporkam.
    Den Schreck und das Entzücken der kleinen Maja kann niemand schildern. Sie saß wie erstarrt da und konnte ihre Augen nicht von dem Anblick wenden, der sich ihr darbot.
    Das winzige Menschenwesen erklomm den Rand der Blüte, hob die Ärmchen gegen das Mondlicht und sah mit einem seligen Lächeln in die helle Nacht der Menschenerde. Dann kam ein leises Zittern in das durchscheinende Körperchen, und plötzlich entfalteten sich von den Schultern herab zwei helle Flügel, weißer als das Mondlicht und so rein wie Schnee. Sie überragten das blonde Haupt und sanken bis an die Füße nieder. Nie, nie hat die kleine Maja in ihrem Leben wieder etwas so Liebliches gesehen. Und während das lichte kleine Menschlein so dastand und seine Hände gegen

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