Die Biene Maja
den Himmel reckte, erhob es seine Stimme wieder, und Maja verstand das Lied, das in die Nacht hinausklang:
Meine Heimat ist das Licht.
Heller Himmel meine Freude.
Tod und Leben wechseln beide,
aber meine Seele nicht.
Meine Seele ist der Hauch, der aus aller Schönheit bricht, wie aus Gottes Angesicht, so aus seiner Schöpfung auch.
Die kleine Maja überkam ein heftiges Schluchzen, sie konnte sich nicht erklären, was sie so traurig machte und sie gleichzeitig so beglückte.
Da wandte sich das kleine Menschenwesen nach ihr um:
»Wer weint denn da?« fragte es mit seiner klaren Stimme.
»Ach, das bin nur ich«, stammelte Maja. »Entschuldigen Sie, daß ich gestört habe.«
»Warum weinst du denn?«
»Ich weiß es nicht,« sagte Maja, »vielleicht nur, weil Sie so schön sind. Wer sind Sie, ach sagen Sie es mir, wenn ich nicht zuviel verlange. Sie sind sicher ein Engel.«
»O nein,« sagte das kleine Wesen und blieb ganz ernst, »ich bin nur ein Blumenelf. Aber du kannst ruhig du zu mir sagen. Was machst denn du kleine Biene in der Nacht draußen auf der Wiese?«
Der Elf flog zu Maja hinüber, setzte sich auf ein gebogenes Lilienblatt, das ihn sanft schaukelte und betrachtete die kleine Biene ernst und freundlich. Und während Maja ihm erzählte, alles was sie wußte und wollte und was sie getan hatte, sahen immer die großen dunklen Augen aus dem weißen Elfengesicht sie an, unter dem goldenen Haar hervor, das im Mond zuweilen wie Silber glänzte.
Der Blumenelf strich Maja über das Köpfchen, als sie ihre Geschichte erzählt hatte und sah sie so innig und liebevoll an, daß die kleine Biene vor Glück die Blicke senken mußte. Und dann erzählte er ihr:
»Wir Elfen leben sieben Nächte, aber wir müssen in der Blume bleiben, in der wir geboren sind. Wenn wir die Blume verlassen, so müssen wir im Morgenrot sterben.«
Maja riß vor Angst und Schrecken die Augen weit auf.
»O rasch, rasch, flieg in deine Blume zurück!« rief sie.
Der Elf schüttelte traurig den Kopf.
»Nun ist es zu spät,« sagte er, »aber höre weiter. Die meisten Elfen verlassen ihre Blumen, denn es verbindet sich ein großes Glück damit. Wer seine Blume verläßt und so einen frühen Tod erleidet, der hat zuvor eine wunderbare Macht. Er kann dem ersten Wesen, das ihm begegnet, seinen liebsten Wunsch erfüllen. Wenn er ernstlich den Willen hat, die Blume zu verlassen, um andere zu beglücken, so wachsen ihm zugleich seine Flügel.«
»Ach, wie herrlich,« rief Maja, »da würde ich auch die Blume verlassen. Das muß wunderschön sein, den liebsten Wunsch eines anderen zu erfüllen.« Die kleine Biene dachte gar nicht daran, daß sie das erste Wesen war, dem der Elf auf seinem Flug aus der Blume begegnet war.
»Und dann,« fragte sie, »mußt du dann sterben?«
Der Elf nickte, aber diesmal gar nicht traurig.
»Wir sehen noch das Morgenrot,« sagte er, »aber wenn der Tau fällt, dann zieht es uns zu den feinen Schleiern hinüber, die über dem Gras der Wiesen schweben. Hast du nicht oft gesehen, daß diese Schleier ganz weiß leuchten, als wäre Licht darin? Das sind die Elfen, ihre Flügel und ihre Kleider. Und mit dem heraufsteigenden Licht verwandeln wir uns in Tautropfen. Die Pflanzen trinken uns und nehmen uns in ihr Blühen und Wachsen auf, bis wir nach Zeiten wieder als Elfen aus ihren Blumenkelchen steigen.«
»So warst du früher schon einmal ein anderer Elf?« fragte Maja in atemloser Spannung.
Die ernsten Augen nickten ihr zu:
»Ja, aber ich habe es vergessen. Wir vergessen alles in unserm Blumenschlaf.«
»O, dein Los ist lieblich«, rief die kleine Maja.
»Es ist das Los aller Erdenwesen,« sagte der Elf, »wenn man es weit und groß betrachtet. Auch wenn es nicht immer Blumen sind, in denen sie aus ihrem Todesschlaf erwachen. Aber davon wollen wir heute nicht sprechen.«
»O, ich bin glücklich«, rief Maja.
»So hast du keinen Wunsch?« fragte der Elf. »Weißt du denn nicht, daß du das erste Wesen bist, das mir begegnet und daß ich deinen liebsten Wunsch erfüllen soll?«
»Ich?« rief Maja, »aber ich bin doch nur eine Biene. Nein, das ist zuviel Freude für mich, ich habe nicht verdient, daß man so gut gegen mich ist.«
»Niemand verdient das Gute und Schöne,« sagte der Elf, »es kommt zu uns wie der Sonnenschein.«
Majas Herz klopfte stürmisch. O, sie hatte seit lange einen heißen Wunsch, aber sie wagte es nicht, ihn vorzubringen. Aber der Elf schien es zu ahnen, denn er lächelte so, daß man
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