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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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aus wird seit dem Jahr dreihundertdreizehn ein gleichnamiges Patriarchat regiert.«
    »Es gab also zuvor keine Patriarchate?« stellte Branwyn fest.
    »Bis dahin herrschte Gleichberechtigung zwischen den christlichen Gemeinden und den vielen, frei von ihnen gewählten Bischöfen«, erwiderte Calpurnia. »Seither aber haben die fünf Patriarchen, die sich auch als Erzbischöfe und im Fall Roms sogar als Päpste titulieren, zunehmend politische und theologische Macht an sich gerissen.«
    »Dies war wohl auch der Grund, warum es zum Streit zwischen dem Presbyter Arius und dem Patriarchen von Alexandria kam?« vermutete Branwyn.
    »In der Tat«, bestätigte Calpurnia. »Athanasius nämlich verstieg sich im Widerspruch zu den Evangelien sowie zur ursprünglichen christlichen Lehre zu der theologischen Auffassung, wonach Jesus Christus gottgleich und damit ohne jede Einschränkung Gott sei …«
    »Der Galiläer war nicht das Adonai, sondern nur Funke des Adonai!«, rief Branwyn aus. Jede Einzelheit ihrer Vision in Avalon, da sie genau diese Worte vernommen hatte, war ihr wieder gegenwärtig. »Durch seine übergroße Menschenliebe und seine zahllosen guten Taten näherte er sich dem Göttlichen an wie nur sehr wenige andere Sterbliche, aber er behauptete nie, Gott oder das Göttliche selbst zu sein!«
    »Dasselbe hielt Arius dem Patriarchen von Alexandria entgegen«, nickte Calpurnia mit blitzenden Augen. »Der Presbyter sprach von der Gottnähe oder Gottähnlichkeit Jesu und befand sich damit im Einklang mit dem, was die Evangelisten sowie Paulus überlieferten – und was auch durch den Beinamen Chrestos oder Christus ausgedrückt wird, den erstmals Paulus gebrauchte und mit dem zur Zeit der Apostel ein sogenannter Gesalbter bezeichnet wurde: ein Mensch, der vom göttlichen Geist erfüllt war.«
    Der lange Satz hatte Calpurnia angestrengt; sie mußte mehrmals tief Atem holen, ehe sie weiterzureden vermochte: »Arius definierte das Wesen Jesu infolgedessen in Übereinstimmung mit denen, die den Galiläer persönlich gekannt hatten, beziehungsweise noch aus der lebendigen Erinnerung an ihn schöpfen konnten. Athanasius hingegen versuchte ein Dogma zu verbreiten, das in völligem Widerspruch zu diesen ehrwürdigen Traditionen stand. Infolgedessen irrte das Oberhaupt des Patriarchats von Alexandria, und der einfache Priester war im Recht. Dennoch wurde er von Athanasius und dessen mächtigen Verbündeten, darunter auch solchen hier in Rom, mit wahrhaft unchristlichem Haß angegriffen. Zuletzt brachten sie es dahin, daß die arianische Lehre – obwohl sie theologisch exakt das ausdrückte, was in der gesamten Christenheit bis dahin unstrittig gewesen war – verdammt wurde. Dies geschah Anno dreihundertfünfundzwanzig auf dem Konzil von Nicaea in Bithynien weit im Osten des Reiches, wo die Anhänger des Athanasius mehr oder weniger unter sich waren. Dort erhob man dessen Verirrung dann auch noch zur offiziellen Kirchenlehre, und schon wenige Jahre später begann man die Arianer, die trotz des Bannspruches nicht von ihrer Überzeugung lassen wollten, mit Feuer und Schwert zu verfolgen.«
    In ihrer Empörung blieb Branwyn stehen. »Patriarchen und Bischöfe traten die Wahrheit auf zynische Weise mit Füßen! Wie konnte das nur geschehen?!«
    »Das fragst du, weil in deiner Seele kein Arg ist und du dich mit dem christlichen Glauben auf ehrliche Weise auseinandersetzt«, erwiderte Calpurnia und rang abermals nach Luft. »Doch diejenigen, welche den Arianismus als Irrlehre verfluchten, hatten andere Ziele. Sie bestellten das Feld für Despoten wie Liberius, denen es einzig um möglichst unbegrenzte Herrschaftsgewalt zu tun ist – und um dieses Ziel zu erreichen, eignet sich eben die Theologie des Athanasius ungleich besser als die alte Lehre, welche Arius verteidigte …«
    »Jetzt begreife ich!« Abscheu malte sich auf Branwyns Antlitz. »Die Kirchenfürsten berufen sich ja bei jeder Gelegenheit lautstark darauf, daß sie ihre Ämter in der Nachfolge Jesu ausüben. Wenn sie nun aber seit dem Konzil von Nicaea behaupten können, Christus sei Gott und nicht nur Mensch gewesen, so fördert das ihre persönliche Macht ungemein. Denn in den Augen derer, die ihnen auf den Leim gehen, handeln sie damit direkt in göttlichem Auftrag und entziehen sich auf diese Weise jeglicher Kritik – selbst dann, wenn sie Verbrechen begehen!«
    »Du hast die Verschwörung von Nicaea durchschaut!« bekräftigte Calpurnia. Erneut schob sie

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