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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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eine der Frauen, welche die Nachricht ins Waisenhaus gebracht hatten.
    »Nicht in Trans Tiberim! Das müssen wir unbedingt verhindern!« widersprach Calpurnia entschlossen.
    »Aber wir sind doch am meisten gefährdet, denn Liberius will ausgerechnet durch unseren Stadtteil in Rom einziehen!« beharrte die Handwerkerfrau.
    »Genau das ist wahrscheinlich Glück im Unglück«, versetzte die Presbyterin. »Hier nämlich leben nur wenige und zudem friedliche arianische Christen, auf deren guten Willen wir uns verlassen können. Freilich sollten wir mit ihnen sprechen …«
    »Und sofern aggressive Gruppen aus anderen Vierteln hierher kommen«, fiel Branwyn ein, »haben wir Gemeindemitglieder von Sancta Maria die Möglichkeit, uns zwischen sie und die Päpstlichen zu stellen. Wir müssen uns nur einig sein und den festen Willen aufbringen, keine Gewalt zu dulden.«
    »Du meinst, wir könnten es tatsächlich schaffen?« Zaghafte Hoffnung schwang in der Stimme der eben noch so verängstigten Handwerkerfrau mit.
    »Ja, das können wir!« versicherte Branwyn. »Wir brauchen nur dem Beispiel Christi zu folgen. Als die römischen Legionäre ihn in der Nacht vor seiner Kreuzigung auf dem Ölberg festnahmen, machte Petrus Anstalten, mit der blanken Waffe gegen sie zu fechten, doch Jesus hinderte ihn daran, indem er ihm sagte, daß derjenige, der zum Schwert greife, durch das Schwert umkommen werde. Und aus meiner britannischen Heimat weiß ich von Druiden, die verfeindete Heere auf dieselbe Art – allein durch die Kraft warnender und begütigender Worte – vom Kampf abhielten.«
    Kaum hatte Branwyn geendet, umarmte Calpurnia sie und sagte mit feuchten Augen: »Du hast uns den Weg aufgezeigt, den wir gehen sollen, ich danke dir im Namen der ganzen Kirchengemeinde!«
    Auch die Handwerkerfrauen waren jetzt wieder zuversichtlicher; eine von ihnen schlug vor: »Laßt uns sofort eine Versammlung in Sancta Maria einberufen, damit möglichst viele Leute erfahren, wie sie sich morgen verhalten sollen.«
    »So werden wir es machen«, stimmte die Presbyterin zu; wenig später eilten sie alle zusammen weg, um die Gemeindemitglieder zu verständigen.
    ***
    Die Junihitze war noch schlimmer geworden; jetzt, in der Mittagsstunde, schien das Pflaster der Via Portuensis im Sonnenglast zu glühen. Trotzdem hatten sich entlang der breiten Straße Tausende von Schaulustigen aus dem Umland der Stadt eingefunden, und innerhalb der Mauern von Trans Tiberim erwarteten weitere dichtgedrängte Menschenmassen die Ankunft des Papstes.
    Endlich erschollen Fanfarenstöße; gleich darauf wurde am Ausgang einer Talsenke, die das Gelände ungefähr eine Meile vor dem Südwesttor des Stadtteiles Trans Tiberim durchschnitt, die Vorhut der päpstlichen Prozession sichtbar. Es handelte sich um mehrere Dutzend Akoluthen, die zusammen mit einem großen Teil des römischen Klerus am Vortag nach Ostia aufgebrochen waren, um Liberius heute auf der ganzen Strecke vom Seehafen her das Geleit geben zu können. Die vordersten Hilfspriester bliesen in regelmäßigen Abständen ihre Musikinstrumente; die übrigen hielten Palmwedel – das uralte jüdisch-christliche Friedenssymbol – in den Händen.
    Unmittelbar hinter ihnen jedoch folgte ein Trupp Reiter: zwölf Angehörige der Palastwache des Lateran in Kettenhemden und Kammhelmen, die Lanzen, Langschwerter und Schilde trugen und deren Rösser mit eisernen Kampfmasken ausgerüstet waren. Diese Gepanzerten erweckten trotz ihrer geringen Zahl einen furchteinflößenden Eindruck; nicht minder abstoßend wirkten die drei ihnen folgenden offenen Pferdefuhrwerke, die jeweils einen voluminösen Reliquienschrein transportierten. Das grelle Sonnenlicht wurde in gleißenden Strahlen von den Juwelen und dem Edelmetall zurückgeworfen, mit denen die Mumien oder Skelette geschmückt waren; manchmal, wenn die Menschen am Straßenrand bei ihrem Herannahen in die Knie sanken, schien es von ferne, als hätte ein Blitz sie gefällt.
    Vielfache Lichtreflexe sprühten auch von den Roben und Kopfbedeckungen der Erzpriester und sonstigen Angehörigen des höheren, in den Diensten des Patriarchats stehenden Klerus, welche den grauenerregenden Fahrzeugen hoch zu Roß folgten. Kapläne führten die mit Schabracken behängten Reittiere an den Zügeln; Chorknaben liefen nebenher und schwenkten, ebenso wie die Akoluthen der Vorhut, Palmzweige. Die jungen Mädchen aus Ostia wiederum, welche nunmehr in weißen Gewändern auftauchten, hatten

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