Die Bischöfin von Rom
nach Ausweitung ihrer eigenen Macht getrachtet hätten und den heimtückisch von einem katholischen Offizier Ermordeten nun auf so infame Weise verteufelten?!
Der Hirtenbrief fand breiteste Zustimmung und fachte die öffentliche Diskussion über die Hintergründe des Attentats auf den Imperator an. Immer erregter debattierte man an jenem Sonntag auf den Plätzen und in den Tavernen Roms darüber, welche Rolle wohl das Patriarchat bei dem feigen Anschlag gespielt haben könnte; nicht selten wurden Stimmen laut, die in Liberius den tückischen Drahtzieher vermuteten.
Ganz augenscheinlich hatte Branwyn das Patriarchat durch ihre mutige Aktion erheblich in Bedrängnis gebracht, und am Abend dieses denkwürdigen Sonntags, als sie mit Angela, Camilla, Gaius, Silvia sowie einigen anderen engen Vertrauten im Atriumhaus zusammensaß, kündigte sie an, weitere Schritte gegen die Volksverhetzer im Lateranpalast unternehmen zu wollen. »Es deutet doch tatsächlich alles auf ein Komplott zwischen Liberius und dem neuen Kaiser hin!« rief sie erregt aus. »Wenn es sich aber so verhält, ist es unsere Pflicht, dieses Verbrechen aufzudecken und die Bevölkerung darüber zu informieren!«
Mit blitzenden Augen stimmte Angela ihr zu: »Es gibt nach wie vor hohe Beamte in der Stadt, die Julian treu ergeben waren. Womöglich hegen sie denselben Verdacht wie wir, deshalb solltest du unbedingt Kontakt mit ihnen aufnehmen! Vielleicht rennst du sogar offene Türen ein, wenn du sie in deiner Eigenschaft als Episcopa dazu aufforderst, Ermittlungen durchzuführen!«
»Genau in diese Richtung denke ich«, nickte Branwyn und wandte sich an die anderen am Tisch: »Was meint ihr dazu?«
»Es wäre immerhin einen Versuch wert«, entgegnete Marcellus, der arianische Presbyter aus dem Pincius-Viertel.
»Aber es ist gefährlich!« widersprach Camilla. »Denn die Macht halten jetzt diejenigen in Händen, die durch einen solchen Vorstoß angegriffen würden!«
»Das ist auch meine Meinung«, äußerte Silvia. »Zwar möchte ich gewiß nicht dafür plädieren, kampflos vor unseren Gegnern zurückzuweichen, doch wir sollten besser vorsichtig taktieren! Das gilt besonders für dich, Branwyn! Vor allem du gehst ein großes Risiko ein, wenn du dich allzusehr exponierst – und wozu das Patriarchat fähig ist, weißt du selbst am besten!«
»Ja, das weiß ich …« murmelte Branwyn. Die Erinnerung an den grausamen Schmerz, den Acacius ihr zugefügt hatte, war jäh wieder da; zugleich glaubte sie erneut Samiras visionäre Worte zu vernehmen, die zwei Jahre zuvor in der Sibyllengrotte gefallen waren: Wenn der Erhöhte stürzt, trifft auch dich der Haß der Priester … Danach Schwärze und Kälte im dunklen Gewölbe …
Für einen Moment herrschte Schweigen, dann überwand die junge Bischöfin ihre Beklemmung und fuhr fort: »Gerade weil ich die Bösartigkeit des Liberius und seiner Anhänger kenne, fühle ich mich verpflichtet, alles zu tun, um sie zu entlarven!« Sie zögerte kurz. »Andererseits wäre es natürlich dumm, mich leichtfertig in Gefahr zu begeben – zumal der Hirtenbrief im Augenblick ohnehin seine Wirkung entfaltet. Wahrscheinlich ist es daher am klügsten, zunächst einmal ein paar Tage abzuwarten, damit ich mir meine nächsten Schritte in Ruhe überlegen kann.«
Die anderen bestärkten sie in diesem Entschluß, danach saß man noch länger zusammen. Als es für die Gäste Zeit wurde, aufzubrechen, begleitete Branwyn sie, einer instinktiven Regung folgend, hinaus auf den Kirchplatz und verabschiedete sich erst dort von ihnen. Mit einem wehen Gefühl blickte sie Silvia, Marcellus und den anderen nach, bis die Nacht sie verschluckt hatte. Als sie sich schließlich umdrehte, um ins Haus zurückzugehen, hatte sie plötzlich das Empfinden, sehr verlassen zu sein.
***
Die nächsten beiden Tage blieb die junge Bischöfin in Trans Tiberim und vergrub sich in ihre Gemeindearbeit; dann, am Nachmittag des zweiten September, riefen ihre Pflichten sie zum Aventinhügel. Wie jeden ersten Mittwoch des Monats besuchte sie das dortige Hospital, setzte sich an das eine oder andere Krankenbett und bemühte sich, den Leidenden Mut zu machen. Nach der Vesper, die sie mit den gerade dienstfreien Pflegerinnen einnahm, ließ sie sich den Wirtschaftsplan für die folgenden Wochen vorlegen. Als die Vorsteherin des Hospitals sie auf einen drohenden Engpaß bei der Medikamentenversorgung aufmerksam machte, versprach Branwyn, vorerst mit Arzneimitteln aus
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