Die Bischöfin von Rom
leiten – doch dann, Anfang Oktober, erreichte sie ein zweiter Brief Julians, der ihre diesbezüglichen Erwartungen zunichte machte.
»Ich hatte mich sehr auf ein Wiedersehen mit dir gefreut; aus persönlichen Gründen und weil ich außerdem neuerlich viel Positives über deine segensreiche Tätigkeit hörte«, schrieb der Kaiser. »Um so mehr bedauere ich es, die geplante Italienreise erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten zu können. Meine Pflichten als Imperator lassen mir aber leider keine andere Wahl …« Anschließend teilte Julian ihr mit, es seien beunruhigende Meldungen nach Konstantinopel gelangt, wonach die persischen Sasaniden einen Angriff auf die Ostgrenze des Reiches planten. Deshalb sehe er sich gezwungen, seinerseits ein Heer aufzustellen, mit dem er im kommenden Frühjahr gegen den Feind vorrücken wolle. Der Kriegszug werde ihn voraussichtlich bis zu den Strömen Euphrat und Tigris führen und wohl den größten Teil des nächsten Jahres in Anspruch nehmen, weshalb ein Staatsbesuch in Rom frühestens Anno 364 möglich sein werde.
Branwyn benötigte einige Tage, um ihre Enttäuschung zu überwinden; zudem belastete sie der Gedanke an die Gefahren, denen der Kaiser, auf dem so viele Hoffnungen ruhten, ausgesetzt sein würde. Doch letztlich ließ sie sich dadurch nicht in ihrer Arbeit beirren, vielmehr verstärkte sie ihre Bemühungen um die Wohlfahrt der Stadtbevölkerung ab diesem Herbst des Jahres 362 noch.
Schon lange waren ihr die Zustände in den vielen römischen Mietskasernen, wo oft mehrere Dutzend armer Familien unter kaum noch menschenwürdigen Bedingungen hausten, ein Dorn im Auge gewesen. Jetzt, da sie sowohl den breiten Rückhalt durch die von ihr geführten Kirchensprengel besaß als auch auf Unterstützung durch die staatliche Verwaltung zählen durfte, konnte sie zumindest erste Schritte unternehmen, um Abhilfe zu schaffen.
In einigen Vierteln direkt am linken Tiberufer, wo die Verhältnisse besonders schlimm waren, wurde mit Sanierungsmaßnahmen begonnen. Die junge Bischöfin und ihre Mitarbeiter fanden für einen Teil der Bewohner preiswerte Unterkünfte in weniger dicht besiedelten Stadtteilen; für diejenigen, die blieben, stand damit mehr Wohnraum zur Verfügung. Weiter bekamen die Mieter kostenlos Material für Instandsetzungsarbeiten gestellt; sie mußten sich im Gegenzug lediglich dazu verpflichten, nicht nur ihre eigenen Wohnungen, sondern in Gemeinschaftsarbeit auch die Gebäudefassaden zu renovieren. Bald wurde deutlich, wieviel auf diese Weise ohne großen Aufwand zu erreichen war, und im folgenden Frühjahr 363 waren die ehemals so schrecklich heruntergekommenen Mietskasernen kaum wiederzuerkennen.
Die von ihr so erfolgreich durchgeführte Aktion trug Branwyn zusätzliche Anerkennung ein. Bei einer Zusammenkunft von Kirchenvertretern und kaiserlichen Beamten im Mai des genannten Jahres wurde beschlossen, die Sanierungsmaßnahmen auf eine Reihe weiterer Wohnblocks auszudehnen. Bis Ende Juni waren die nötigen organisatorischen Vorbereitungen getroffen; optimistischer denn je durfte die Episcopa in die Zukunft blicken – doch dann traf sie und all die anderen, die sich unter der Regierung Julians einen langanhaltenden humanen Aufschwung erhofft hatten, ein furchtbarer Schlag.
Der Kerker
Die fürchterliche Nachricht, die Mitte August von einem auf der Via Portuensis heranjagenden Kurierreiter gebracht wurde, erschütterte ganz Rom. Wo immer der vom Meerhafen Ostia kommende Bote sein schäumendes Roß kurz zügelte und den Menschen auf den Plätzen der Stadt die schreckliche Kunde zurief, malte sich zuerst Ungläubigkeit und gleich darauf abgrundtiefes Entsetzen auf ihren Gesichtern. Manche stammelten betroffen den Namen des Kaisers: des jungen, erst zweiunddreißigjährigen Imperators, der nach den abgehackten Worten des Reiters nicht mehr unter den Lebenden weilte. Wenig später dann, als der Bote auf dem Forum Romanum anlangte und dort auf Regierungsbeamte traf, die ihn trotz ihrer Verstörung genauer befragten, erfuhr auch die Bevölkerung Einzelheiten.
Julian, der im Frühjahr dieses Jahres 363 von Kleinasien aus zum Feldzug gegen die persischen Sasaniden aufgebrochen war, hatte bereits Anfang Mai den Euphrat überschritten, um anschließend, ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen, quer durch Mesopotamien in Richtung auf den Tigris vorzudringen. Nahe der Stadt Ktesiphon hatte er auch diesen Strom überquert und die Sasaniden durch sein Auftauchen
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