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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Höhle aufmerksam geworden war. Gleich darauf begann der große Vogel mit dem rötlichen Gefieder über ihr zu kreisen, dreimal umflog er die junge Frau – dann schoß er mit einem auffordernden Ruf davon: nach Süden.
    Im selben Moment spürte Branwyn, wie die Last der Ungewißheit von ihr abfiel. Die Göttin hatte ihr auch diesmal wieder ein Zeichen gegeben; beglückt fühlte die junge Frau, wie – jenseits aller Furcht vor dem Unbekannten – Einklang zwischen dem Willen Ceridwens und ihrer eigenen, eben noch zurückgedrängten tiefen Sehnsucht entstand. Sie dankte der Göttin und schaute dem Purpurreiher nach, bis sie ihn nicht mehr ausmachen konnte.
    Während sie so verharrte, näherte sich ihr Eolo. Still wartete er ab; als sie sich ihm zuletzt zuwandte und ihm sagte, daß sie mit ihm gehen würde, leuchteten seine Augen vor Freude.

Die Wanderung
    Am Morgen des übernächsten Tages verließen Branwyn und der Barde das abgeschiedene Tal, wo die junge Frau den harten Winter überlebt hatte. Ebenso wie Eolo Goch trug nun auch Branwyn ein Wanderbündel auf dem Rücken: ihre zusammengeschnürte, aus der Bespannung des Curraghs gefertigte Plane, in die sie den Rest ihrer Nahrungsmittelvorräte, ihren besten Kochtopf, ihr Nähzeug und die Angeln sowie verschiedene andere nützliche Kleinigkeiten eingeschlagen hatte. An ihrem Gürtel hing das Messer, und an schwierigen Wegstellen würde ihr – wie schon beim Aufstieg zum Eryri Gwyn im vergangenen Frühherbst – die kurze Lanze mit der Flintsteinspitze nützlich sein.
    Zunächst freilich brauchten Branwyn und ihr Gefährte nicht zu klettern. Der kaum sichtbare Pfad, dem sie vom östlichen Ausgang des Hochtales aus folgten, führte beinahe eben an der schütter mit Heidekraut bewachsenen Flanke des Bergmassivs entlang. Erst am Spätnachmittag wurde das Gelände zerklüftet und senkte sich über eine Reihe gigantischer Felsstufen in eine tief eingeschnittene Schlucht ab. Nebelschwaden trieben dort unten, von einer Schieferzinne am Rand des Abgrunds flatterte unvermittelt ein Geier auf und verschwand mit mißtönendem Krächzen in der scheinbar bodenlosen Kluft.
    Beklommen blieb die junge Frau stehen, doch schon war Eolo bei ihr, legte den Arm beschützend um ihre Schultern und sagte: »Ich weiß, dieser Ort wirkt ein wenig unheimlich, und der Abstieg erscheint von hier aus gefährlich. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Ich kenne den Weg, den wir nehmen müssen, so daß wir keinerlei Schwierigkeiten haben werden, hinunterzukommen. Heute allerdings schaffen wir es nicht mehr, denn die Sonne steht schon zu tief. Wir sollten also hier oben unser Nachtlager aufschlagen. Dort drüben bei den Zwergbirken ist ein guter Platz, der dir bestimmt gefallen wird …«
    Dank der Fürsorge des Barden legte sich Branwyns Unbehagen. Wenig später, während sie ihre Feuerstelle errichteten, dachte sie: Seit meiner Flucht von der Ynys Vytrin war ich stets auf mich allein gestellt, und ich habe Schlimmeres gemeistert als in eine Schlucht wie diese hier zu klettern. Auch jetzt wieder würde ich es aus eigener Kraft fertigbringen, wenn es nötig wäre – doch es tut gut, einen Menschen wie Eolo an meiner Seite zu haben: diesen warmherzigen Mann, der mir vom ersten Moment an Verständnis und Freundschaft schenkte.
    Sie lächelte ihm zu, er antwortete ihr mit einem Augenzwinkern; gemeinsam sammelten sie sodann mehrere Arme voll vertrockneter Heidekrautstrünke für ihr Lagerfeuer und bereiteten das Abendessen zu. Nachdem sie satt waren, griff der Barde nach seiner Handharfe und sang mit verhaltener Stimme ein Lied, das er über seine Heimatinsel Môn Mam Cymru gedichtet hatte. Branwyn fand es so schön, daß sie Eolo bat, es zu wiederholen. Erfreut tat er ihr den Gefallen; anschließend trug er eine Reihe weiterer Gesänge vor und erzählte zwischendurch, wie ein älterer Barde ihn in der Hügelfestung von Aberffraw in dieser Kunst unterwiesen hatte. Auf diese Weise verstrich der Abend, brach die Nacht herein und zogen die Sterne am Himmel auf; als die junge Frau schließlich müde wurde und sich zur Ruhe legte, empfand sie ein Gefühl tiefen, behüteten Friedens.
    Ganz wie Eolo versprochen hatte, gelangten sie in der Mitte des nächsten Vormittags wohlbehalten auf den Grund der Kluft. Durch die nach wie vor treibenden Nebelschwaden, die über einem Bachlauf waberten, drangen sie weiter nach Osten vor. Gegen Mittag traten die Schluchtwände zurück, die Felsschroffen machten

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