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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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getragen. Draußen herrschte mittlerweile Dunkelheit; die Fünkchen wirbelten kurz durch die tintige Schwärze, erinnerten an Glühwürmchen und erloschen eins nach dem anderen. Branwyn blickte in die Nacht hinaus, sann nach und war dem Barden dankbar, weil er sie nicht drängte. Nach einer Weile beschied sie ihn: »Ich werde mir deinen Vorschlag überlegen. Aber bitte laß mir ein bißchen Zeit. Es kommt alles so überraschend für mich.«
    Eolo nickte. »Ich verstehe dich – und ein oder zwei Ruhetage würden mir gewiß nicht schaden …«
    »Wie ich mich auch entscheide, du kannst hierbleiben, solange du willst«, antwortete die junge Frau erleichtert. Dann forderte sie ihn auf, ihr mehr über Avalon und die anderen herausragenden Stätten im Süden Britanniens zu erzählen.
    Am nächsten Morgen waren Branwyns freundschaftliche Gefühle gegenüber dem Barden noch gewachsen. Denn obwohl sie sich notgedrungen das einzige in der Grotte vorhandene Nachtlager geteilt hatten, war Eolo Goch nicht zudringlich geworden.
    Während des Frühstücks unterhielt er sie mit der einen oder anderen heiteren Geschichte, und wenn er ihr damit ein Lachen entlocken konnte, freute er sich sichtlich. Danach erklärte er ihr, daß er an diesem Vormittag gerne sein Glück beim Fischen versuchen würde; vielleicht gelinge es ihm ja, ein schmackhaftes Mahl zusammenzubringen. Die junge Frau stimmte zu und wußte dabei: Er wollte ihr Gelegenheit geben, in Ruhe über ihre Zukunft nachzudenken.
    Nachdem er sich Angelzeug von ihr ausgeliehen hatte und gegangen war, räumte Branwyn die Höhle auf. Jeder Handgriff erschien ihr wie ein Stück Abschied von den Dingen, die ihr die Herbst- und Wintermonate hindurch vertraut geworden waren. Doch nach wie vor war sie sich nicht klar, welchen Weg zurück in die Welt der Menschen sie wählen sollte. Schließlich verließ sie die Grotte ebenfalls, schlenderte zu dem Menhir, der am Eingang des Passes stand, und schaute von dort aus empor zu den im Sonnenlicht leuchtenden Gipfelgraten des Eryri Gwyn. Nach einer Weile ging sie quer über das Hochtal weiter, erreichte den Bergwald, dessen Wipfel im pludernden Frühlingswind rauschten, und folgte seinem Saum.
    Weit drüben am Ufer des Sees erkannte sie die winzige Gestalt des Barden; für einen Moment glaubte sie seine brandrote Haarmähne, den dichten Schnurrbart und die blaßblauen Augen vor sich zu sehen. Sie versuchte sich auszumalen, wie es wäre, ihn über Monate hinweg zum Gefährten zu haben, und die Vorstellung hatte etwas Verlockendes. Noch verführerischer war der Gedanke an die Ynys Avallach – aber andererseits wäre es bestimmt nicht ungefährlich, eine derart lange Wanderung auf sich zu nehmen. Sie würden Gebirgszüge und Urwälder überwinden sowie breite Ströme überqueren müssen; ferner würde ihre Reise sie bestimmt durch römisch beherrschte Gebiete führen, wo sie als landfremde Kelten rechtlos und der Willkür der Besatzungsmacht ausgeliefert wären. Auch das Schwert, das Eolo bei sich trug, konnte sie dann nicht schützen; dasselbe galt für den Fall, daß sie auf herumstreifende Barbarenhorden wie jene stießen, welche die Ynys Vytrin heimgesucht hatten.
    Wahrscheinlich wäre es wirklich vernünftiger, mich für Môn Mam Cymru zu entscheiden, überlegte die junge Frau. Bis zu dieser Insel könnte ich es gut auch allein schaffen; die Schwierigkeiten wären nicht größer als diejenigen, die ich bereits auf dem Weg hierher zum Eryri Gwyn gemeistert habe. Kaum freilich war ihr das durch den Kopf gegangen, kam ihr abermals die Ynys Avallach in den Sinn – und der Entschluß, den sie eben hatte fassen wollen, geriet wieder ins Wanken.
    Uneins mit sich selbst streifte sie weiter am Waldrand entlang. In der Mitte des Vormittags erreichte sie den östlichen Ausgang des Hochtales, setzte sich auf einen Felsen und grübelte lange. Erst als die Sonne ihren Zenit längst überschritten hatte, trat sie den Rückweg an und gelangte kurz vor Einsetzen der Abenddämmerung zu der Stelle, wo der Menhir aufragte. An seinem Sockel hatte sich der Barde ausgestreckt; jetzt, da er sie erblickte, richtete er sich auf und winkte ihr zu.
    Branwyn fühlte sich durch die freundliche Geste beinahe beschämt, denn noch immer hatte sie sich nicht entschieden – plötzlich wurde sie abgelenkt, weil sie ganz in der Nähe rauschenden Flügelschlag vernahm. Sie fuhr herum und sah den Purpurreiher herankommen, durch den sie einst auf den Hohen Stein und die

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