Die Bischöfin von Rom
Küste von Gwynedd liege.
Als Branwyn den Namen des Eilands vernahm, erinnerte sie sich an gewisse geheimnisvolle Überlieferungen, die sie als Mädchen aus dem Mund der alten Penarddun gehört hatte. Um so gespannter war sie darauf, mehr über diese Insel zu erfahren, aber vorerst sprach der Barde über das, was ihm auf seiner Wanderung zum Eryri Gwyn zugestoßen war. Einmal, freilich ein gutes Stück weiter im Norden, waren ihm Wölfe auf der Spur gewesen und hatten sein Lager die halbe Nacht umschlichen, ehe es ihm gelang, sie durch Würfe mit Feuerbränden zu vertreiben. Und ein andermal war er beim Überqueren eines Firnfeldes an einem Berghang ausgeglitten und mindestens hundert Schritte in die Tiefe gerutscht, bis ein Gestrüpp ihn auffing.
Zuletzt erkundigte sich Branwyn, ob er irgendwo zu einer Ansiedlung gekommen sei. Eolo Goch verneinte und erklärte: »Das Land hier im Nordwesten von Gwynedd ist völlig unbewohnt, erst ungefähr ein Dutzend Tagesmärsche südlich des Eryri Gwyn gibt es Dörfer.« Er musterte den Eingang der Kaverne, die sie mittlerweile fast erreicht hatten, und fuhr fort. »Deine Höhle ist die einzige menschliche Behausung weit und breit, desto mehr freue ich mich über deine Einladung …«
Wenig später saßen sie beim Feuer in der Grotte und stillten ihren Hunger mit Stockfisch und getrockneten Beeren sowie haltbaren, doppelt gebackenen Brotfladen, die Eolo beisteuerte; ebenso hatte der Barde Rauchfleisch bei sich. Die junge Frau genoß den Geschmack der so lange entbehrten Nahrungsmittel über die Maßen; außerdem erfuhr sie nun mehr über das Eiland, von dem Eolo Goch stammte.
»Ich bin in der Hügelfestung von Aberffraw aufgewachsen und erzogen worden«, berichtete er. »Dies ist der Stammsitz des edlen Geschlechts der Tudurs, das auf Môn Mam Cymru herrscht …«
»Môn, die Mutter von Cymru«, unterbrach Branwyn. »Warum trägt die Insel diese ungewöhnliche Bezeichnung?«
»Weil sie einst alles geistige Leben in den Ländern unserer kimmerischen Stämme nährte«, erwiderte Eolo. »Ehe die Römer vor beinahe dreihundert Jahren einen Vorstoß in den Westen Britanniens unternahmen und auf das Eiland übersetzten, um die dort lebenden Druiden zu ermorden und die Heiligen Haine niederzubrennen, blühte auf Môn Mam Cymru höchste Gelehrsamkeit. Die Druidenschulen der Insel waren weithin berühmt; die Lernbegierigen kamen nicht nur aus den kimmerischen Fürstentümern, sondern aus ganz Britannien und selbst aus Irland und Gallien, um Weisheit zu erlangen und sie in ihren Heimatländern wiederum an andere weiterzugeben.«
»Aber dann wurde all das durch Feuer und Schwert vernichtet«, flüsterte die junge Frau.
»Der Geist von Môn Mam Cymru ist unzerstörbar!« widersprach der Barde. »Du selbst hast ihn zusammen mit Kigva und Arawn auf der Ynys Vytrin gehütet. Ihr habt damit, ähnlich wie Eingeweihte anderswo, das Erbe der alten Zeit bewahrt.«
Branwyn wollte einwenden, daß nun auch die Heilige Quelle auf der Ynys Vytrin verwaist war, doch sie besann sich auf ihre Rettung und bestätigte statt dessen: »Penarddun, welche die Lehrerin von uns dreien war, wußte noch einiges von Môn Mam Cymru und kannte einige Überlieferungen. So soll es dort außerordentlich bedeutende Heiligtümer geben?«
»Steinkreise, Menhire und Grabkammern, die lange vor der Ankunft der ersten Kelten in Britannien errichtet wurden«, nickte Eolo. »Sie überdauerten die Barbarei der Legionäre, und sie werden auch dann noch stehen, wenn die Herrschaft Roms in unserem Land gebrochen ist.«
»Du glaubst daran?« fragte Branwyn verblüfft. »Ich dachte, die Macht der Römer sei ungeheuer groß! Jedenfalls behaupteten das die Händler, die gelegentlich auf die Ynys Vytrin kamen.«
»Auf meiner Heimatinsel herrschen die Tudurs längst wieder unangefochten«, entgegnete der Barde. »Die Legionäre zogen schon vor einem Menschenalter ab, nachdem sie zuvor ein Vierteljahrtausend die Kupferminen ausgebeutet hatten, für die Môn Mam Cymru ebenfalls bekannt ist. Und was das Imperium insgesamt angeht, so zerbricht es mehr und mehr unter inneren Machtkämpfen. Seine Tage sind gezählt; irgendwann wird die letzte Legion Britannien verlassen müssen.«
»Woher weißt du das alles?« kam es erstaunt von Branwyn.
Eolo lächelte. »In Aberffraw, der Ringburg der Tudurs, laufen gewisse Fäden zusammen. Fäden, die weit reichen – bis in die Hügelfestungen anderer keltischer Edler, die sich nach Freiheit
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