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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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nicht tun; er durfte Branwyn nicht auf diese Weise zeigen, was er für sie empfand. Ihre seelischen Wunden waren noch längst nicht vernarbt – weshalb sie unmöglich imstande gewesen wäre, seine Liebe zu erwidern.
    Deswegen bezwang er sich und wartete still ab, bis sie gegen Mitternacht zurückkehrte. Dann schenkte er ihr abermals, was ihm erlaubt war, zu geben: Verständnis für das, was sie zutiefst bewegte. Beinahe bis zum Morgengrauen sprachen sie über die Frage, wie Menschen wie sie und er, die keine Machtmittel besaßen, den Kampf gegen den Weißen Drachen führen konnten – und die Antwort lautete: durch Menschenliebe.
    ***
    Bereits am Spätnachmittag des folgenden Tages fanden sie Gelegenheit dazu. Am schmalen Ende des Mawddach-Fjords stießen sie auf eine zum Teil niedergebrannte Ansiedlung, deren Bewohner dem Volk der Cornovier angehörten. Die keltischen Bauern und Fischer berichteten, daß die Feuersbrunst, der vier Gebäude zum Opfer gefallen waren, durch den Leichtsinn zündelnder Kinder in einem Strohschober ausgebrochen sei; ein jäh aufkommender starker Wind habe die Glut sodann auf die Reetdächer der Rundhäuser getragen.
    Unaufgefordert beteiligte der Barde sich an den Aufräumungsarbeiten, während sich Branwyn zusammen mit einer heilkundigen Frau um diejenigen kümmerte, die Brandwunden davongetragen hatten. Nachdem die Nacht hereingebrochen war bemühte sich Eolo, die Cornovier durch sein Spiel auf der Handharfe aufzumuntern, und vom nächsten Morgen an machten er und Branwyn sich beim Fällen, Entrinden und Zuschneiden der Eschenstämme nützlich, die man für den Wiederaufbau der zerstörten Dachstühle benötigte. Letztlich verstrichen drei volle Tage, ehe die junge Frau und ihr Gefährte weiterzogen. Der Häuptling der Ansiedlung, der einen großen Curragh besaß, setzte sie über den Meeresarm; vom Ufer aus winkten die übrigen Dorfbewohner ihnen nach, bis sie außer Sichtweite waren.
    Da die dankbaren Cornovier ihnen eine Menge frischer Lebensmittel mitgegeben hatten, brauchten die beiden Wanderer, deren eigene Vorräte mittlerweile erschöpft waren, sich zunächst nicht mehr mit der sonst unvermeidlichen Nahrungssuche aufzuhalten. Eineinhalb Tagesmärsche brachten sie zum Massiv des Cadair Idris; ihr Weg führte über die östlichen Abhänge dieses mächtigen Bergrückens, und als Branwyn bei der Mittagsrast zur höchsten Gipfelschroffe hinaufspähte, meinte sie, mehrere Steinsetzungen zu erkennen.
    Erstaunt fragte sie ihren Begleiter, ob es denn dort oben tatsächlich Menhire, Dolmen oder gar einen Cromlech gebe, worauf Eolo Goch antwortete: »Was du siehst, sind die Fundamente eines eingestürzten Turmes, der in grauer Vorzeit von einem Druiden namens Idris erbaut wurde und dem weisen Mann zur Himmelsbeobachtung diente. So berichten es die Überlieferungen, aber der Sitz des Idris ist nicht nur ein Ort, an dem einst Sternenkunde betrieben wurde, sondern er bedeutet auch uns Barden sehr viel. Denn es heißt von dieser Stätte, daß sie die Dichtkunst befördert, sofern man die Kraft, die von ihr ausstrahlt, richtig zu nutzen weiß. Man muß dazu eine Nacht auf dem Cadair Idris verbringen, und wenn ein Mensch auserwählt ist, erwacht er am folgenden Morgen als begnadeter Barde. Allerdings ist es nicht ungefährlich, die andersweltlichen Mächte zu versuchen, denn ebensogut können sie jemanden, der lediglich von Eitelkeit oder Ruhmsucht getrieben wird, ablehnen, so daß er in Wahnsinn verfällt und manchmal sogar tot aufgefunden wird.«
    »Rhiannon, die Göttin der Dichtung und des Gesangs, prüft die Bewerber«, sagte Branwyn nachdenklich. »Und sie nimmt nur diejenigen an, die sich als wahrhaft würdig erweisen: solche, die vom Geist des Roten Drachen beseelt sind …«
    »So ist es!« bestätigte Eolo. »Und was dich angeht, so müßtest du ganz bestimmt nichts befürchten, falls du eine Nacht auf dem Gipfel ausharren wolltest. – Wie ist es, wollen wir hinaufklettern und uns ein wenig umsehen?«
    »Ja, das sollten wir unbedingt tun!« stimmte die junge Frau ohne Zögern zu.
    Am zeitigen Nachmittag erreichten sie ihr Ziel und hatten von dort aus einen weiten Blick zurück zum Mawddach-Fjord im Norden, auf die breite Mündung des Dyfi im Süden sowie auf das Meer im Westen. Eine ganze Weile standen sie stumm da und genossen die herrliche Aussicht; schließlich gingen sie weiter zum Zentrum des Plateaus, wo sich die Ruine des archaischen Turmes erhob. Mit aufgeregtem Krächzen

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