Die Bischöfin von Rom
Kraft der Quelle. Wenig später näherten sich vom Apfelhain her drei Druidinnen, von denen eine erkrankt war. Die Frauen wollten ein Heilritual an der Schale des Lebens vornehmen, doch ehe sie damit beginnen konnten, trat der junge Jude zu ihnen, blickte der Leidenden, deren Antlitz von einem häßlichen Hautausschlag gezeichnet war, tief in die Augen und umarmte sie. Dann führte er sie zum Born, benetzte ihr Gesicht mit dem heiligen Wasser und sprach liebevoll auf sie ein.
Obwohl die Kranke seine aramäischen Worte nicht verstand, empfand sie deren Wohlklang wie ein Geschenk und spürte, wie tiefer Friede sich in ihre Seele senkte: dieselbe erlösende Ruhe, welche das druidische Ritual ihr hätte spenden sollen. Sie fühlte, wie ihr Innerstes sich von dem befreite, was sie gequält und ihr körperliches Leiden ausgelöst hatte; ihre Gefährtinnen wiederum erkannten aufgrund ihrer ärztlichen Erfahrung, was geschehen war. Deshalb verzichteten sie auf weitere Behandlung, dankten der Göttin sowie dem, der ihrer Schwester geholfen hatte, und kehrten zum Apfelgarten zurück, wo die Frau mit dem Aussatz innerhalb weniger Tage genas.
Jeschu aber stand von jenem Tag an mit Recht in dem Ruf, über Heilkräfte zu verfügen, wie nur wenige Auserwählte sie besitzen, und während der folgenden Monate seines Aufenthalts auf der Insel von Avalon war er ebenso wie sein Verwandter Jussuf von Arimathea oft bei den Druidinnen zu Gast. Unvoreingenommen tauschte man sich miteinander aus, wodurch der junge Jude gewisse keltische Erkenntnispfade zu beschreiten lernte; andererseits fanden es die Frauen anregend, Jeschu und seinem Großonkel, der an der Spitze seiner Karawanen bis Indien geritten war, zu lauschen und sich hebräische sowie asiatische Weisheit näherbringen zu lassen. Zusammen ging man so ein Stück des Weges, der allen suchenden Menschen gemeinsam ist, und zum Gedächtnis daran wurde, ehe die Besucher wieder abreisten, ein Baumritual durchgeführt …«
»Du sprichst von dem Dornbaum, der damals gepflanzt wurde, nicht wahr?« unterbrach Branwyn.
»So ist es, und wir werden ihn jetzt aufsuchen«, bestätigte Dyara. »Er steht inmitten der christlichen Siedlung, die sich seit knapp dreihundert Jahren auf der Ynys Avallach befindet, und du sollst ihn vor Augen haben, wenn du deren Geschichte erfährst.«
Nachdem sie ganz wie am Morgen aus der Heiligen Quelle getrunken hatten, verließen die Freundinnen den Platz. Dyara schlug eine nordwestliche Richtung ein; sie durchquerten ein Wäldchen und erreichten leicht gewelltes Weideland, auf dem Schafe grasten. Da und dort lugten die Dächer von Bauernhäusern über ginsterbewachsene Raine; einmal begegneten die beiden Frauen einer Schar Kinder, die zusammen mit einem verspielten jungen Hirtenhund um einen Weiher tollten. Wenig später tauchten Branwyn und ihre Begleiterin in den Schatten eines weiteren Waldstücks ein, und dann gaben die letzten Bäume den Blick auf das etwas tiefer in einem geschützten Talgrund liegende Dorf der Christen von Avalon frei.
Etwa fünfzehn Rundhäuser gruppierten sich um einen Anger; in seiner Mitte erhob sich ein zusätzliches Gebäude, das sofort ins Auge fiel, weil es sich grundlegend von den übrigen unterschied. Es besaß entgegen der britannischen Bräuche einen rechteckigen Grundriß und war groß genug, um mehrere Dutzend Menschen zu beherbergen. Die lehmverputzten Flechtwerkwände schienen ein Stück in die Erde eingesunken und waren offenbar vielfach ausgebessert, das Dach hatte sich an einer Stelle geneigt und war mit Hilfe einiger Balken abgestützt worden.
Insgesamt machte das spitzgiebelige Haus auf Branwyn den Eindruck, als sei es sehr alt – und Dyara, die ihrer Freundin zunächst Zeit gelassen hatte, alles in Ruhe zu betrachten, bestätigte nun ihre Vermutung: »Bei dem ungewöhnlichen Bauwerk handelt es sich um die Kirche der christlichen Ansiedlung. Sie wurde zu jener Zeit errichtet, da die ersten Getauften auf die Ynys Avallach kamen, und wie ich dir am Born der Göttin schon sagte, sind seither beinahe dreihundert Jahre vergangen.«
»Zehn Menschenalter«, flüsterte Branwyn ehrfürchtig, dann wollte sie wissen: »Und wo steht der Dornbaum, der noch älter ist?«
»Auf der anderen Seite der Kirche«, erklärte Dyara, während sie sich anschickte, weiterzugehen. »Du kannst die Stelle an den Wipfeln der Birken erkennen, die dort links aufragen.«
Rasch legten sie die kurze Strecke bis zum Dorf zurück; von einigen
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