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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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malte sich nachdenklicher Ernst. Am meisten schien einmal mehr Alba beeindruckt; mit halb geschlossenen Lidern und wie gebannt saß sie da.
    Als schließlich wieder Leben in sie kam, griff sie nach der Hand des Barden und sagte: »Eigentlich sollte ich wehklagen, denn was du mir mit deinen beiden ersten Gesängen schenktest, raubtest du mir mit dem dritten. Nicht länger fühle ich mich wie ein lachendes Mädchen im Frühling oder wie ein blühendes Weib im Sommer, vielmehr führtest du mir jetzt vor Augen, wie das menschliche Dasein jenseits seiner Mitte allmählich verwelkt. Dennoch muß ich dich bewundern, weil nämlich deine Kunstfertigkeit auch angesichts dieser unumstößlichen Wahrheit nicht versagte; mit unvergleichlicher Meisterschaft hast du besungen, wie das Rad des Lebens sich vom Hellen ins Schattenhafte dreht.«
    »Aber als Eingeweihte weißt du, daß wir die herbstlichen oder winterlichen Schatten nicht fürchten müssen«, versetzte Eolo. »Denn am Ende der kalten Jahreszeit wandelt die Dunkelheit sich in neues Licht um, und was scheinbar tot war, wird wiedergeboren. Infolgedessen ist der Winter nichts weiter als die Zeit erholsamen Schlafes, und dies wird der Inhalt meines vierten Liedes sein. Doch ehe ich es erklingen lasse, würde ich sehr gerne noch einmal mit dir trinken, damit mir die Verse nachher um so geschmeidiger über die Lippen kommen.«
    »Ich denke, auch mir würde ein Schlückchen ausgesprochen guttun«, murmelte Alba und hob ihm ihren Pokal entgegen. Eolo ließ sein Trinkgefäß gegen den Rand des ihren stoßen und leerte es bis auf den Grund; die greise Druidin tat es ihm nach und sank anschließend blinzelnd zurück in ihren Sessel.
    Abermals begann der Barde mit einem Vorspiel auf der Harfe. Ausführlicher als zuvor präludierte er; bestimmte verhaltene Tonfolgen hörten sich an, als webten sie in weiter Ferne über einer frosterstarrten Landschaft. Ganz allmählich dann nahm seine leise Stimme die Melodie auf, wurde eindringlicher und entführte die Frauen in schneebedeckte Wälder und über eisüberkrustete Felder; führte sie weiter in die Geborgenheit eines Dorfes und an ein wärmendes Herdfeuer unter einem schützenden Dach, wo die Winterkälte keine Macht mehr besaß. Und jetzt glaubten sie, das Knistern der Flammen und das Knacken der brennenden Scheite zu vernehmen und die behütende Nähe vertrauter Menschen zu spüren. Geborgenheit hüllte sie ein, und in ihren Herzen war das Wissen darum, daß die Götter sie selbst in den dunkelsten Tagen des Jahres nicht verlassen hatten.
    Sachte, gleich einem langsam vergehenden Hauch, schwebten die letzten Harfentöne durch den Raum. Als Eolo Goch behutsam die Hand von den Saiten nahm, war die Stille im Rundhaus tiefer denn je – bis plötzlich ein ausgesprochen unpassendes Geräusch ertönte.
    Das Schnarchen drang aus Albas halb geöffnetem Mund; mit geschlossenen Augen saß sie da, und das Kinn war ihr auf die Brust gesunken. Offenbar war der Zauber des vierten Gesanges allzu stark für die ergraute Druidin gewesen, so daß unwiderstehliches Schlafbedürfnis sie übermannt hatte.
    Bendigeida veranlaßte zwei der anderen Frauen, sich um die Alte zu kümmern und sie vorsichtig zu ihrem Ruhelager zu bringen, dann trat sie zu Eolo und äußerte schmunzelnd: »Wie mir bekannt ist, muß ein Barde, der den Rang eines Meisters beansprucht, imstande sein, seine Zuhörer je nach Belieben in die verschiedenartigsten Stimmungen zu versetzen und auf diesem Wege außerdem Einfluß auf ihre körperliche Befindlichkeit zu nehmen. Du hast heute abend bewiesen, daß dir das ohne Schwierigkeiten möglich ist – freilich hege ich den Verdacht, es ging dir dabei vor allen Dingen um die betagte Alba, welche dich vielleicht ein klein wenig zu ungestüm dazu brachte, in ihrem Haus aufzutreten.«
    »Ich war ihr wirklich gerne zu Diensten«, beteuerte Eolo augenzwinkernd. »Allerdings, das gebe ich zu, lag mir daran, meine Darbietung nicht allzusehr ausufern zu lassen, denn ehe Branwyn und ich hierher kamen, machte meine Gefährtin mich darauf aufmerksam, daß sie nach dem langen Tag bereits ziemlich müde sei und nicht mehr bis in die späte Nacht bei Alba bleiben wolle. Aber in dieser Hinsicht kam unsere Gastgeberin mir ja durchaus entgegen, indem sie darauf bestand, das künstlerische Erlebnis durch den Genuß ihres Samosweins zu vertiefen. Wäre dies nicht geschehen, so hätte ich, um der Guten erholsamen Schlaf zu schenken, womöglich noch ein,

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