Die Bischöfin von Rom
darauf strömte von dort und aus den Felswänden neue Kraft in sie und verband sich mit der behütenden Umarmung Bendigeidas, die ihr zuflüsterte: »Lange weiltest du jenseits der Schleier in Annwn. Länger als jede andere von uns, so daß wir bereits Sorge trugen, du könntest den Rückweg nicht mehr finden.«
»Es lag nicht daran«, versetzte Branwyn. »Vielmehr …«
»Ruhe dich jetzt aus!« unterbrach die Pendruid sie. »Später werden wir über alles sprechen.«
Dankbar nahm Branwyn die Fürsorge Bendigeidas und nun auch der übrigen Frauen an; nachdem sie sich erholt und zusammen mit den anderen noch ein einfaches Abschiedsritual vollzogen hatte, verließen sie gemeinsam die Grotte. Diesmal jedoch führte die Pendruid sie nicht zum Felsspalt, durch den sie herabgestiegen waren, sondern zu der portalartigen Nische hinter dem Sims, auf dem die Öllampen standen. Jede der Druidinnen ergriff im Vorbeigehen eine der Leuchten, dann folgten sie einem gewundenen, vor Urzeiten vom Wasser ausgeschliffenen Stollen, der in einer kleinen Kluft am Fuß des Twr ins Freie mündete.
Als sie dort ankamen, stellte Branwyn ungläubig fest, daß bereits die Morgendämmerung anbrach; mit dem nächsten Herzschlag begriff sie: Während der scheinbar kurzen Zeitspanne, die ihre Seele in der Anderswelt geweilt hatte, war beinahe die ganze Nacht verstrichen.
In sich gekehrt wanderte die junge Frau zusammen mit den anderen zum Apfelhain zurück; nur gelegentlich wechselte sie ein Wort mit Dyara, die neben ihr ging. Unter den Obstbäumen schließlich spürte sie mit jedem Schritt mehr, wie Wellen von Müdigkeit sie durchfluteten. Sie schaffte es gerade noch bis zu ihrem Haus und zum Ruhelager; dort fiel sie fast augenblicklich in tiefen, traumlosen Schlaf.
***
Am folgenden Tag – Branwyn hatte den Druidinnen inzwischen von ihrer Vision berichtet und den Rat der neun Frauen eingeholt – suchte sie zusammen mit Bendigeida das Priesterehepaar auf. Wie immer war der Empfang freundlich; nachdem Saray und Danyell allerdings vernommen hatten, was an Samhain in der Höhle des Twr geschehen war, wurden ihre Mienen ernst.
»Auch die christlichen Überlieferungen erzählen von Schauungen, die besonders empfängliche Menschen erlebten und in denen der Geist Jeschus ihnen gegenwärtig wurde«, sagte die Priesterin. »Dies ist keineswegs so verwunderlich, wie es zunächst erscheinen mag, wenn man weiß, daß die Seelen unsterblich sind und sich aus den jenseitigen Bereichen heraus durchaus wieder im Diesseits manifestieren können – doch das brauche ich euch, die ihr eingeweiht seid, nicht zu erklären …«
»Ihr wißt es wahrlich selbst«, fiel Danyell ein. »Und was nun dich angeht, Branwyn, so bist du zweifelsohne eine Frau, in deren Herzen sehr große Liebe wohnt und die zudem von Jugend an mit andersweltlichen Geheimnissen vertraut ist. Deshalb glauben wir dir ohne weiteres, daß du dich nicht von einem Trugbild täuschen ließest, sondern, weil du innerlich bereit für sie warst, in der Tat eine Botschaft des Gekreuzigten und zusätzlich eine des ermordeten Priesters der Ynys Vytrin empfangen hast, wobei Ceridwen, mit deren Wesen Jeschu sich einst hier auf der Insel von Avalon verband, dich leitete.«
»Da aber sowohl derjenige, der die christliche Lehre verkündete, als auch die Göttin zu Branwyn sprachen, sind wir zu euch gekommen«, nahm nunmehr Bendigeida das Wort. »Denn was letzte Nacht geschah, betrifft gleichermaßen Getaufte und Ungetaufte, und deshalb würden wir uns gerne mit euch austauschen.«
Einige Atemzüge lang war nur das Knistern des Herdfeuers zu vernehmen, dann wandte sich Saray an Branwyn: »Geht es um die Frage, ob du nach Rom reisen sollst oder nicht?«
»Das ist bereits entschieden«, lautete die Antwort. »Ich gab Ceridwen noch im Twr das Versprechen, ihren und Jeschus Willen zu erfüllen.«
»Du wirst uns also verlassen!« stellte Danyell mit belegter Stimme fest. »Aber es wäre immerhin verständlich, wenn du Furcht vor einer solchen Reise empfinden würdest. Dein Weg wird weit und gefährlich sein, und in der Hauptstadt des römischen Imperiums wirst du dir notgedrungen Feinde machen, sofern du für die unverfälschte Lehre des Gekreuzigten eintrittst …«
»Noch dazu als Ungetaufte!« warf Saray ein. »Als Heidin, der vor allem das Patriarchat mit Mißtrauen oder sogar offenem Haß begegnen wird!«
»Die Göttin zeigte mir mein Schicksal mit seinen finsteren, jedoch auch lichten Seiten,
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